Lieber nicht geurteilt

  30.09.2022 Muri

Wegen einer Garagenzufahrt trafen sich zwei Nachbarn vor dem Bezirksgericht wieder

Es sind zwei benachbarte Grundstücke. Seit der eine Landwirt 1968 eine Garage baute, fährt er über das Grundstück seines Nachbarn, um sein Auto darin zu parkieren oder wegzufahren. Über 50 Jahre lang ging das gut. Nun tolerieren seine Nachbarn das nicht mehr. Entsprechend wollte er vor Gericht ein Notwegrecht geltend machen, scheiterte aber damit.

Annemarie Keusch

Er sei aus allen Wolken gefallen, sagt ein Landwirt vor Bezirksgericht. Im Januar vor bald zwei Jahren wars, als seine Nachbarn ihm schriftlich mitteilten, dass er nicht mehr über ihre Parzelle fahren darf, um sein Auto in seiner Garage zu parkieren. «Ich wusste nicht, dass das Wegrecht nicht im Grundbuch eingetragen ist. Auch bei der Übernahme des Grundstücks von meinen Eltern habe ich nicht darauf geachtet», führt der Landwirt aus. Über Jahrzehnte habe es nie Diskussionen gegeben wegen der Erschliessung der Garage über das Grundstück der Nachbarn. «Über Generationen wurde das so gehandhabt», führt er aus. 1968 sei die Garage gebaut worden. Damals habe die Nachbarparzelle noch einer Genossenschaft gehört. 2006 kauften die Nachbarn die Parzelle, nachdem sie schon über 20 Jahre dort gelebt hatten. «Auch mit ihnen gab es nie Probleme», sagt er weiter.

Im Zentrum des Falls, der diese Woche am Bezirksgericht Muri behandelt wurde, stand eine Garage. Diese wurde 1968 so gebaut und platziert, dass sie nur via Nachbargrundstück zugänglich ist. «Über mein Grundstück geht es nicht. Dafür braucht es zuerst bauliche Veränderungen.» Veränderungen, die der Landwirt in Angriff nehmen will. Die sich aufgrund der Lage in der Landwirtschaftszone aber als nicht ganz einfach herausstellen. «Seit über einem Jahr ist das Projekt beim Kanton hängig», erzählt er. Er will die Garage so drehen, dass er für die Zuund Wegfahrt nicht mehr die Parzelle der Nachbarn überqueren muss. «Das Problem löst sich, sobald ich die Baubewilligung habe und bauen kann.» Nur, die Nachbarn wollen, dass er ab sofort nicht mehr ihre Parzelle als Zu- und Wegfahrt benutzt.

Anzeige beim Veterinäramt?

Wieso der Streit überhaupt anfing, beantwortete der Nachbar. «Wir vermuten, dass seine Frau eine Meldung beim Veterinäramt gemacht hat und uns anschwärzte, wir hielten unsere Schafe nicht richtig.» Auch die Nachbarn sind im Nebenerwerb in der Landwirtschaft tätig. «Schafe gehen mir über alles», sagt der Nachbar denn auch aus. Und nach diesem Vorkommnis sei für die Familie klar gewesen: «So geht es nicht. Wir müssen etwas machen.» Daraufhin hätten sie schriftlich mitgeteilt, die Parzellenüberfahrt nicht mehr zu dulden.

Der Nachbar spricht von einer Altlast, die es zu regeln gelte. «Wir brauchen den Platz auf unserer Parzelle und wollen nicht ständig darauf achten müssen, dass wir richtig parkieren. Wir sind immer auf Nadeln, ob die Zu- und Wegfahrt möglich ist, gerade wenn wir Besuch haben. Das ist ganz einfach unser Platz», führte er aus. Auch er sagt, dass das Verhältnis mit dem Landwirt immer gut gewesen sei, die Dienstbarkeiten, die in diesem Fall eben nicht existieren, nie ein Thema gewesen seien. «Aber es wurden mit den Jahren immer mehr Fahrzeuge, mittlerweile sind es sieben oder acht Bewegungen am Tag. Und das, ohne uns einmal zu danken. Es war schlichtweg ein Tabuthema.»

Damit erklärt der Nachbar auch, weshalb er auf mögliche Lösungsansätze der Gegenseite nicht einstieg. «Das Wegrecht einzuräumen und im Grundbuchamt festzulegen, das kommt für uns nicht infrage. Nie.» Die Familie lehnte auch das Angebot des Landwirts ab, dass er einen Teil ihrer Parzelle abkaufe. Und auch ein beschränktes Nutzungsrecht verweigerten die Nachbarn. Und auch einer temporären Duldung der Überfahrten, bis die Garage gedreht ist, stimmen sie nicht zu. «Wir trauen der Sache nicht mehr, haben überhaupt keine Garantie, dass er das Bauvorhaben auch wirklich umsetzt.»

Vergleich scheiterte

Unmittelbar auf die schriftliche Mitteilung der Nachbarn zogen beide Seiten Anwälte bei und so trafen sie sich vor dem Bezirksgericht wieder. Das Gericht versuchte, mit einem Vergleich eine Lösung zu erzielen, die für beide zufriedenstellend sei. Nach längeren Besprechungen sagte der Landwirt dieser zu, die Nachbarsfamilie lehnte aber ab und so scheiterte der Vergleich. Am Schluss sagt Gerichtspräsident Markus Koch: «Wir hätten heute lieber nicht geurteilt. Es ist ein Entscheid, der aus rechtlichen Überlegungen gefällt wurde, der aber wohl nicht zu Rechtsfrieden führt.» Dass beide glücklicher gewesen wären mit einem Vergleich, davon war er auch nach der Urteilsverkündung überzeugt.

Zuerst kreuzten aber die beiden Anwälte ihre Klingen. Es treffe nicht zu, dass der Landwirt oder seine Frau die Nachbarsfamilie beim Veterinäramt verzeigt habe. Zudem hätten die Nachbarn seinen Mandanten öffentlich beschimpft und angeschwärzt. Der Anwalt des Landwirts plädierte dafür, dass diesem ein Notwegrecht zugesprochen werde, mit dem er weiterhin seine Garage über die Parzelle der Nachbarn nutzen könne. Dass die Überfahrten vorher widerspruchslos geduldet wurden und nun nicht mehr, sei höchst rechtswidrig. Zumindest temporär und bis das Bauprojekt abgeschlossen sei, sei das Notwegrecht zu gewähren.

Unglückliche Überbauung

Das Notwegrecht trete in Kraft, wenn kein genügender Weg vom Grundstück auf eine öffentliche Strasse führe, so hielt es der Gegenanwalt fest. «Weil die Parzelle des Landwirts direkt an der Strasse ist, kann das gar nicht zum Tragen kommen.» Das Verhalten der Nachbarsfamilie sei nachvollziehbar. «Sie duldeten zwar die Überfahrten, waren aber jederzeit berechtigt, diese zu untersagen.»

Das Urteil des Bezirksgerichts fiel einstimmig. «Es geht einzig um das Notwegrecht in diesem Verfahren, weder um Dienstbarkeiten noch um obligatorische Berechtigungen», hielt Gerichtspräsident Koch fest. Da das Grundstück des Landwirts an eine öffentliche Strasse grenze, sei die Zufahrt möglich und darum kein Notwegrecht zu gewähren. «Das Problem ist, dass die Garage aktuell nicht angefahren werden kann. Aber das gibt ihm nicht das Recht, das Grundstück des Nachbarn zu befahren.» Das Gericht stützte sich auf einen Bundesgerichtsentscheid von 1958. Wie die Geschichte weitergeht, ist offen und hängt davon ab, ob der Landwirt das Urteil weiterzieht. «Sie werden noch länger miteinander zu tun haben müssen.»


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote