Mehr als bittersüss
31.10.2025 SportBob: Die Freiämterin Melanie Hasler ist am «Super10Kampf» im Hallenstadion dabei – und startet in die Olympia-Saison
Die Hasler-Rakete will in dieser Saison den Turbo zünden. Das grosse Ziel: die Olympischen Spiele in Italien im Februar. Die ...
Bob: Die Freiämterin Melanie Hasler ist am «Super10Kampf» im Hallenstadion dabei – und startet in die Olympia-Saison
Die Hasler-Rakete will in dieser Saison den Turbo zünden. Das grosse Ziel: die Olympischen Spiele in Italien im Februar. Die 27-Jährige spricht über Gott, Geld und wieso die Zukunft viele Fragezeichen beinhaltet.
Stefan Sprenger
Vor genau einem Jahr sagte sie: «Vielleicht fahre ich so lange, bis ich die beste Bobfahrerin der Welt bin. Es kann aber auch sein, dass ich nach Olympia 2026 aufhöre.» Melanie Hasler sagt heute, kurz vor dem Start in die Weltcup- und Olympia-Saison: «Ich bin so fit wie nie zuvor.» Die Nummer 1 im Schweizer Bobsport träumt von einer Olympia-Medaille bei den Rennen im Mono- oder Zweierbob.
Neuer Schlitten, neue Möglichkeiten?
Doch sie weiss, dass Nationen wie die USA oder Deutschland das weitaus bessere Material haben und dadurch stets im Vorteil sind. «Wir haben nun einen neuen Schlitten. Ich glaube und hoffe, dass wir nun den Materialnachteil etwas verringern konnten.»
Der Glaube, er ist ein steter Wegbegleiter von Melanie Hasler. 2017 – als sie Volleyball auf hohem Niveau spielt und die Sportschule besucht – betet sie oft zu Gott: «Bitte gib mir etwas, wofür ich wieder Feuer und Flamme bin.» Wieso genau ihr das Volleyball damals keine Freude mehr bereitete und sie in ein emotionales und sportliches Tief fiel, kann sie sich nicht genau erklären.
Mega-Event ist «schöne Abwechslung»
Aber ihre Gebete wurden erhört. 2017 erhält sie eine Anfrage, ob sie nicht einmal in einem Bob sitzen möchte. Mit ihrer enormen Sprungkraft und ihren starken physischen Voraussetzungen ist sie wie geschaffen für den Bobsport. Und heute weiss man, dass dies stimmt. In den letzten drei Jahren fuhr sie an der Europameisterschaft immer auf das Podest (zwei Mal Silber, einmal Bronze), zudem erreichte sie mehrere Podestplätze im Weltcup (sechs im Zweierbob, zwei im Monobob). Und sie ist in der Bob-Nation Schweiz die beste Pilotin.
Start in drei Wochen, Olympia in rund 100 Tagen
Natürlich gibt das Aufmerksamkeit. So darf sie heute Freitag am «Super- 10Kampf» im Zürcher Hallenstadion dabei sein (die Ausstrahlung im Fernsehen ist dann im Dezember). Am Spektakel-Event nehmen die grössten Sportstars des Landes teil. «Eine schöne Abwechslung», meint Hasler, die sich seit rund drei Wochen intensiv mit Testläufen und Trainingslagern auf den Weltcupstart vorbereitet.
Am 22. November ist das erste Rennen – ausgerechnet in Cortina d’Ampezzo. Dort, wo Mitte Februar die Bob-Rennen an den Olympischen Spielen stattfinden. «Athletisch war ich noch nie so bereit für eine Saison wie jetzt», sagt Hasler, die zudem fünf Kilogramm zulegen konnte (was sie im Eiskanal schneller macht). Ein Aber gibt es: Hasler hatte in den letzten Monaten mit Rückenproblemen zu kämpfen. Durch die Abnutzung gab es in der Wirbelsäule Wasserablagerungen – «doch die habe ich momentan gut im Griff», wie sie sagt. Und die Vorfreude steigt immer mehr. Bis zum ersten Olympia-Rennen (am 15. Februar, im Monobob) sind es noch ein bisschen mehr als 100 Tage. «Olympia ist bei jedem Training im Hinterkopf. Ich will diese Medaille. Ich träume davon», sagt die 27-Jährige.
Dass sie aktuell voller Selbstvertrauen steckt, hat auch mit einem ganz banalen Ereignis vor Kurzem zu tun. Melanie Hasler «googelt» sich selbst. Erst da erkennt sie, dass sie mit ihren Erfolgen die beste Schweizer Bobpilotin der letzten zwei Jahrzehnte ist. «Das war mir so gar nicht bewusst. Irgendwie ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, viel Druck war weg, weil ich realisierte, dass ich schon ganz vieles erreicht habe.»
Die Finanzen «besser als in anderen Jahren»
Aber eben: Die Olympia-Medaille fehlt. Vor vier Jahren an den Olympischen Spielen in Peking fuhr sie im Monound Zweierbob unter die besten acht und holte ein Diplom. «Es war bittersüss», wie sie sagt. Sie freut sich riesig – und dennoch war sie leise enttäuscht, weil sie insgeheim hoffte, es reiche für mehr. Auch, weil sie damals beim Olympia-Testevent auf dem 2. Rang landete. Jetzt – vier Jahre später – ist die Medaille ihr klares Ziel. Es soll mehr als nur bittersüss werden.
Seit sie in den Bobsport eingestiegen ist, verfolgt sie ein Thema sehr intensiv: das Geld. Die Finanzierung. Denn der Sport ist teuer. Jüngst machte der Bobverband publik, dass einer der grössten Sponsoren zahlungsunfähig wurde. Verbandspräsident Sepp Kubli sprach von «mehreren Hunderttausend Franken», die in der Kasse fehlen. Haslers Glück: In der Olympia-Saison wird kaum bei ihr gespart, sondern viel mehr beim Nachwuchs. Doch auch Hasler wurde ein Trainingslager in Norwegen gestrichen. Doch ihre eigene finanzielle Lage sei «besser als in anderen Jahren». Was wohl auch mit ihren Erfolgen zu tun hat.
Bis zum August 2026 ist sie im Zeitmilitär angestellt – und erhält damit einen Lohn. Und danach? «Da gibt es viele Fragezeichen. Wie geht es meinem Körper? Was ist mit meinen Anschieberinnen? Wie sieht die finanzielle Situation aus? Wie ist meine Motivation? Vieles ist ungewiss. Ich habe Ideen, wie es im nächsten Jahr weitergehen könnte, einige davon sind abenteuerlich. Entscheidungen fallen aber sowieso erst nach Olympia», sagt sie. «Das Wichtigste ist, dass ich gesund bleibe», sagt sie. Wegen einer Verletzung die Olympischen Spiele zu verpassen, ist wohl ein Albtraum für jeden Sportler.
«Alles dreht sich um Olympia»
Hasler, die mittlerweile mit ihrem Bruder in einer Wohngemeinschaft in Widen lebt, hat in mittelfristiger Zukunft auch den Wunsch auf eine eigene Familie. Mit Michael Vogt (ebenfalls Weltcup-Pilot) hat sie seit Jahren den «Mann fürs Leben» an ihrer Seite. Auch solche Themen sind aktuell zwar im Hinterkopf, aber haben keine Priorität. «Alles dreht sich um Olympia», sagt die Freiämterin (die ein Tattoo der Olympischen Spiele hat).
Wie es danach weitergeht, scheint sekundär zu sein. Vor einem Jahr sagt sie: «Vielleicht fahre ich so lange, bis ich die beste Bobfahrerin der Welt bin. Es kann aber auch sein, dass ich nach Olympia 2026 aufhöre.» Doch vielleicht trifft sogar beides am selben Tag zu. Bei Melanie Hasler scheint alles möglich zu sein.

