Mit der Belegschaft ans Meer
22.09.2023 WirtschaftBei Fachkräftemangel sind kreative Ansätze gefragt – ein Beispiel aus der IT-Branche
Neue Mitarbeitende rekrutieren und bewährte halten. In Zeiten des Fachkräftemangels gewinnt das an Bedeutung. Die TCA in Muri betreibt grossen Aufwand, damit ...
Bei Fachkräftemangel sind kreative Ansätze gefragt – ein Beispiel aus der IT-Branche
Neue Mitarbeitende rekrutieren und bewährte halten. In Zeiten des Fachkräftemangels gewinnt das an Bedeutung. Die TCA in Muri betreibt grossen Aufwand, damit sich die Mitarbeitenden wohlfühlen.
Kaum eine Branche merkt den Fachkräftemangel so stark wie jene der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT). Bis ins Jahr 2030 braucht die Schweiz aufgrund von Pensionierungen, Abwanderung und der digitalen Transformation gegen 120 000 zusätzliche ICT- respektive IT-Fachkräfte. Das Bildungssystem und die Zuwanderung aus dem Ausland geben aber nur deren 80 000 her. Entsprechend fehlen gegen 40 000 Fachleute.
In Zeiten von wachsender Cyber-Kriminalität sind insbesondere Sicherheitsspezialisten gefragt. Obwohl sich die Anzahl der Mitarbeitenden in diesem Bereich seit 2010 verdreifacht hat, würden bis 2030 zusätzliche 60 Prozent dieser spezialisierten Fachkräfte benötigt werden, heisst es beim Branchenverband ICT-Berufsbildung Schweiz.
Der Wunsch, zu helfen
Sicherheit ist auch bei der Firma TCA in Muri ein grosses Thema. Von «immer raffinierter werdenden Ransomware-Angriffen» spricht Co-Geschäftsleiterin Cornelia Lehle. Dabei erlangen Kriminelle mittels Schadsoftware Zugriff zu Netzwerken, in welchen sie dann die Dateien verschlüsseln und sensible Daten kopieren. «Dahinter stecken organisierte internationale Banden, bei denen einige Super-Techies, die einander oft gar nicht kennen, für gutes Geld Schadsoftware programmieren», führt sie aus. Während sich bis vor einigen Jahren mit Firewall und Virenschutz noch ein hohes Sicherheitslevel erreichen liess, ist heute kaum noch ein Netzwerk gefeit. Zumal die Banden meist Menschen als «Einfallstor» nutzen. Einmal auf den falschen Anhang geklickt und schon haben die Eindringlinge Zugang zum System. Und genau das gelte es mittels Schulungen zu verhindern, so Cornelia Lehle.
In den Räumlichkeiten der TCA hat Co-Geschäftsleiter Maik Thomann empfangen und den Besucher persönlich an hochwertig und individuell eingerichteten Glaskabinen – mit je einem Einzel- oder Doppelarbeitsplatz – vorbei ins Büro seiner Partnerin und Co-Geschäftsführerin geführt. Sie sei eher zufällig in die IT-Branche gerutscht, verrät Cornelia Lehle. «Als Kind träumte ich davon, Ärztin zu werden, um Menschen zu helfen.» Statt mit Blutanalysen hilft sie nun mit ihrem Verständnis für komplexe IT-Infrastrukturen. Der Dank ihrer «Patienten» ist ihr auch so sicher.
Stellenausschreibung in Programmiersprache
Im Gegensatz zu vielen Konkurrenten hat die TCA aktuell alle Arbeitsplätze besetzt. Was aber nicht heisst, dass sie nicht offen wäre für neue Teammitglieder: «Wir haben seit Jahren sehr viel Neukundenzulauf», sagt Cornelia Lehle. Auf der Website findet sich denn auch eine Stellenausschreibung. Allerdings nicht in herkömmlicher Form, sondern als Script in Programmiersprache verfasst. Mit diesem «Insider» sollen gezielt jene Bewerberinnen und Bewerber angesprochen werden, die so etwas schon gesehen haben. «Wir haben viel Resonanz darauf bekommen», sagt Lehle. «Und jene, die es verstehen, finden es toll.»
Bei der Neubesetzung von Stellen habe sich aber der direkte Kontakt besser bewährt als die Ausschreibung. Dabei achtet die TCA auf fachliche Qualifikationen, aber noch viel mehr auf das Zwischenmenschliche und den Willen. «Ich stelle immer und ausschliesslich nach Bauchgefühl ein», betont Cornelia Lehle. So habe sie auch schon Leute mit den besten Zertifikaten abgewiesen. Grundsätzlich kommt jeder Bewerber und jede Bewerberin zum Schnuppertag. Ob die Person dann eingestellt wird oder nicht, das werde im Team entschieden. «Wir sind wie eine Familie», so die TCA-Chefin.
Wenn das Personal schwierig zu finden ist, lohnt es sich auch, die bestehenden Arbeitsverhältnisse zu pflegen. «Die Mitarbeitenden stehen im Zentrum von allem, was wir tun. Ohne sie könnten wir ‹einpacken›», ist sich die Geschäftsleitung der TCA bewusst. Entsprechend werden die Teammitglieder als Kollegen auf Augenhöhe behandelt. Sie dürfen Verantwortung übernehmen, erhalten Freiraum und erfahren Wertschätzung. Gerade erst stand etwa ein Teamausflug nach Mallorca auf dem Programm –inklusive Flug und Suiten mit Meerblick im Fünfsternehotel. Logisch, dass sich das nicht jeder Betrieb leisten kann. Aber es gibt wohl auch nicht viele, die sich das leisten würden, wenn sie denn könnten.
Nachwuchs fördern und weiterbilden
IT-Ausbildungen sind bei Jugendlichen eigentlich sehr begehrt. Weshalb mangelt es trotzdem an Fachleuten? «Viele Berufseinsteiger werden in Callcentern oder im First-Level-Support verbrannt», so Cornelia Lehle. Wer hier anruft oder schreibt, ist in der Regel sauer, weil irgendetwas nicht funktioniert, wie es sollte. Will heissen: Die jungen Berufseinsteiger haben den ganzen Arbeitstag mit Leuten zu tun, die sie anschreien und teilweise unf lätig beleidigen. Viele sagen dann irgendwann: «IT ist nichts für mich.» Entsprechend sind die Unternehmer in der Pflicht, den Nachwuchs zu fördern und seinen Wünschen und Fähigkeiten entsprechend weiterzubilden. «Nur dann bewahren sie die Freude an ihrem Beruf und sehen auch ihre Zukunft in der Branche», so Lehle.
Und was verspricht sie sich von neuen Ausbildungsstätten, wie dem für 2025 geplanten Informatik-Campus der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)? «Wir haben immer wieder hohe Erwartungen an neue Ausbildungsmöglichkeiten in unserer Branche. Leider wurden wir in der Vergangenheit aber oft enttäuscht, weil die Lehrpläne nicht schnell genug aktualisiert werden.» In einer so schnelllebigen Branche könne man nicht heute einen Lehrplan entwerfen, der in drei Jahren immer noch Gültigkeit haben soll. Zudem sei es gerade in hochspezialisierten Bereichen wie der Forensik schwierig, qualifizierte Praktiker zu finden, die das auch ausbilden können. --tst