Mit einem Seil 2,2 Tonnen bewegen
23.07.2024 MuriMit viel Muskelkraft
Die Läutgruppe der Klosterkirche Muri
Die Kirchenglocken der Klosterkirche erklingen nur zu bestimmten festlichen Anlässen. Während die Jubiläumsglocke, auch Leontiusglocke genannt, im Nordturm mechanisch betrieben ...
Mit viel Muskelkraft
Die Läutgruppe der Klosterkirche Muri
Die Kirchenglocken der Klosterkirche erklingen nur zu bestimmten festlichen Anlässen. Während die Jubiläumsglocke, auch Leontiusglocke genannt, im Nordturm mechanisch betrieben wird, braucht es für die sechs Glocken im Südturm pure Muskelkraft. Diese werden von den Mitgliedern der Läutgruppe betreut, die damit eine jahrhundertealte Tradition fortsetzen. Meist läuten die Glocken einen Tag vor Auffahrt, Pfingsten, Fronleichnam oder Allerheiligen den christlichen Feiertag ein. Ebenfalls zu besonderen Gottesdiensten wie die des heiligen Leontius, des Kirchenpatrons oder zum ökumenischen Gottesdienst zum Bundesfeiertag um 9.45 Uhr. --mo
Sommerserie «Blick hinter die Kulissen»: Bei den Glöcknern der Klosterkirche Muri
Man hört sie in jedem Dorf – die Kirchenglocken. In der Klosterkirche in Muri werden sie, dank der Läutgruppe, bei speziellen Feiertagen noch von Hand in Schwung gebracht.
Monica Rast
Wenn man durch die Pforten in die Klosterkirche eintritt, erstrahlt sie in ihrer ganzen Pracht. Der Anblick ist überwältigend. Die Geschichte des Klosters geht fast 1000 Jahre zurück und gibt viel zu erzählen. Doch einige Leute sind nicht wegen der Schönheit oder der Geschichte in der Kirche. Sie haben einen ganz besonderen Auftrag. Nach den ersten Bankreihen laufen sie nach rechts. Barbara Egli, ein Mitglied der Kirchenpflege Muri, öffnet eine kleine Tür.
Voller Ehrfurcht für die Erbauer
Es ist der Eintritt in eine Welt, die seit Beginn des Klosters existiert. Stein auf Stein wurden damals die beiden Kirchtürme aufgebaut. Die Grundmauer ist heute noch erhalten, auch wenn alles andere im Laufe der Zeit renoviert, restauriert oder ersetzt wurde. Ehrfurcht beschreibt das Gefühl am ehesten, wenn man durch diese Tür tritt. Eine enge und schmale Wendeltreppe mit 27 Stufen aus Stein führt die Anwesenden in einen Raum, bei dem einem als Erstes die unterschiedlich dicken Seile ins Auge stechen. Hier sind die rund 40 Personen der Läutgruppe abwechslungsweise rund 20-mal pro Jahr im Einsatz.
Eine Tradition wiederbelebt
Urs Elsener hat um die Jahrtausendwende etwas wiederbelebt, das ein wenig in Vergessenheit geraten ist – das Läuten der Kirchglocken von Hand. Jahrhundertelang war ihr Einsatz vielseitig. So gibt es unter anderem eine Vesperglocke, eine Sturm- und Feuerglocke sowie eine Festglocke. Sie alle hatten für die Einwohner in Muri eine Bedeutung und viele richteten sich danach. Heute kommen die Glocken bei hohen Festtagen wie Palmsonntag, Weisser Sonntag, Fronleichnam und Maria Himmelfahrt zum Einsatz oder beim Ausläuten an Silvester und dem Einläuten des neuen Jahres. «Wenn wir mal nicht pünktlich waren, gab es schon mal einen Anruf», erzählt Barbara Egli schmunzelnd. «Auch wenn nicht planmässig geläutet wird, fällt das manchen auf.»
Langjährige Glöckner im Einsatz
Viele sind schon seit Jahren in der Läutgruppe. Da kommen jeweils sechs «kunterbunte» Personen im Alter von 20 bis fast 80 Jahren zusammen, die im Alltag meistens nichts gemeinsam haben, begrüssen sich, reden miteinander und nach und nach vertieft sich jeder automatisch in den Rhythmus der Glocke. Nach 15 Minuten ist alles vorbei und jeder geht fröhlich seines Weges. «Es ist faszinierend, wie viele Leute über all die Zeit schon an den Seilen gezogen haben», meint Evelyn Berg ehrfürchtig. Sie ist seit rund eineinhalb Jahren bei der Gruppe und liebt ihre besondere Tätigkeit. Für sie hat es etwas Spirituelles. «Meditation in Bewegung. Nur die Glocke und du.» Die kleinste Glocke beginnt und im Abstand von jeweils 15 Sekunden setzten die anderen ein. Derjenige aus der Kirchenpflege gibt den Einsatz vor sowie eine digitale Uhr, das einzige elektronische Teil im Turm.
Timing ist das A und O
Ein, zwei, drei kräftige Züge und man merkt, wie die Glocke langsam an Schwung gewinnt. Und dann der erste Schlag. In diesem Moment passiert es. Ein Glücksgefühl überkommt einen, man lächelt. «Es passiert etwas mit einem», ergänzt Evelyn Berg und auch Barbara Egli stimmt dem zu. «Man lernt zu hören, wie die Glocke läutet», erklären sie, «man wird eins mit der Glocke.» Rund eine Minute dauert es, bis alle Glocken schwingen und ihren Rhythmus gefunden haben. Dreizehn Minuten lang, danach lässt man die Glocken wieder ausklingen. Angefangen mit der Kleinsten. «Es ist immer wieder ein Happening, wenn ein schönes Klangbild entsteht und die letzte Glocke kurz vor viertel nach aufhört», erklärt die «Oberglöcknerin» Barbara Egli. Sie ist in der Kirchenpflege für dieses Ressort zuständig und erstellt auch den Einsatzplan der Glöckner, damit auch kein Einsatz verpasst wird.
140 Kilogramm ist die kleinste Glocke und die grösste – die Angelusglocke – 2200 Kilogramm schwer. 89 Stufen, auf mehrere Ebenen verteilt, trennen jeweils die Glockenzieher von ihren Glocken. «Da braucht es einiges an Muskelkraft. Doch unser Ziel ist es, auch einmal die ganz Grosse zu läuten», erklären Berg und Egli voller Überzeugung. Denn in Schwung setzen, ist das eine, sie anzuhalten, wenn die Zeit gekommen ist, das andere.
Für Muri ist der regelmässige Einsatz der Läutgruppe eine besondere Bereicherung, denn vielerorts werden die Glocken nur noch mechanisch geläutet. So klingen sie doch gleich noch schöner, wenn man weiss, dass es Menschen gibt, die sich für den Erhalt dieser alten Tradition einsetzen, egal um welche Uhrzeit oder an welchem Wochentag. «Man darf sich jederzeit bei mir melden», erklärt Barbara Egli, «wir möchten den Leuten die Chance geben, es auszuprobieren».