Mitten im Kriegsgebiet
04.11.2022 Region UnterfreiamtAuslandsreporter Samuel Schumacher im Gespräch
Der Villmerger Samuel Schumacher ist als Auslandsreporter für die «Blick»-Gruppe unterwegs. Eben gehörte er zu den ersten Journalisten, welche Zugang erhielten in die befreiten Gebiete in der Ukraine. Diese ...
Auslandsreporter Samuel Schumacher im Gespräch
Der Villmerger Samuel Schumacher ist als Auslandsreporter für die «Blick»-Gruppe unterwegs. Eben gehörte er zu den ersten Journalisten, welche Zugang erhielten in die befreiten Gebiete in der Ukraine. Diese Woche beobachtet er in den USA die kommenden Wahlen. Schumacher ist dort unterwegs, wo Geschichte geschrieben wird. Er liebt seine Arbeit. Was er dabei alles erlebt, erzählt er in einem ausführlichen Gespräch. --red
Wo Geschichte geschrieben wird
Der Villmerger Samuel Schumacher lebt seinen Traum als Auslandsreporter
Geschrieben hat er schon immer. Seit dem Alter von 17 Jahren auch für Zeitungen. Heute arbeitet Samuel Schumacher als Auslandsreporter für die «Blick»-Gruppe und berichtet in Wort und Bild von den Brennpunkten der Welt. Vor allem seine Reportagen aus der Ukraine fanden ein grosses Publikum.
Chregi Hansen
Die Nachricht erschien Ende März dieses Jahres: Samuel Schumacher, bisher Co-Ressortleiter Ausland, verlässt CH Media Richtung «Blick»-Gruppe und wird dort Auslandsreporter. Diese Meldung erreichte auch das Freiamt. «Ganz ehrlich, ich war schon etwas nervös, wie mein Umfeld reagiert», schmunzelt Samuel Schumacher heute. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis seine Eltern zu Hause in Villmergen auf die Nachricht angesprochen wurden.
Der «Blick» hat eben bei einigen nicht den besten Ruf. «Zu Unrecht», wie Schumacher findet. «Der ‹Blick› von heute ist nicht vergleichbar mit der Zeitung von früher», ist er überzeugt. Im Gegenteil: Die Art, wie sich hier Zeitung, TV und Online-Auftritt verzahnen, wie man sich untereinander austauscht, auf verschiedenen Kanälen unterwegs ist, multimedial arbeitet, auch Neues wagt und sich hochprofessionell mit journalistischen Themen auseinandersetzt, diese Art sei einzigartig für die Schweiz. «Das kannte ich bisher nur aus den USA», sagt der Villmerger, der einige Zeit in den Vereinigten Staaten studiert hat. Mittlerweile sei er ein richtiger «Blick»-Fan, gibt er zu. Und dass er für dieses Medienhaus im Ausland unterwegs ist und von den Schauplätzen der Welt berichten kann, das sei ein Privileg. Und ein Traumjob.
Mit 17 als Freier Mitarbeiter angefangen
Das Interesse an dem, was auf der Welt passiert, entwickelte sich schon früh. Schumacher erinnert sich, dass im Elternhaus abends immer «Echo der Zeit» im Radio lief. «Als kleiner Junge hörte ich zufällig von der Belagerung von Sarajewo. Dieser Name hat bei mir etwas ausgelöst. Ich habe meine Mutter mit Fragen gelöchert. Ich wollte ganz genau wissen, was da passiert.» Später weckte Paul Bitschnau an der Bezirksschule Wohlen sein Interesse an geschichtlichen Themen. Gleichzeitig liebte er es schon immer, Geschichten zu schreiben. Schon mit 17 Jahren war er für die «Aargauer Zeitung» als freier Mitarbeiter unterwegs, auf jeder Reise schrieb er einen Blog. «Ich habe zu meinen Eltern immer gesagt: Ich bin ein Mann des Wortes, nicht des Blutes», lacht der Sohn eines Ärztepaars.
Es folgte ein Studium in Geschichte und Politologie, immer begleitet von Reportereinsätzen. Sei es für die «Aargauer Zeitung», das «Zürcher Tagblatt» oder auch den «Tages-Anzeiger». Gleichzeitig reiste Schumacher viel – dabei interessierten ihn weniger die Sehenswürdigkeiten eines Landes als dessen Schattenseiten. War er lieber in alten Atombunkern in Litauen unterwegs als am Strand von Mallorca. Er wanderte an der chinesischen Grenze oder lebte in Nepal. Reiste mit seinem Bus immer wieder durch den Balkan auf den Spuren des Krieges. «Ich bin wohlbehütet und privilegiert aufgewachsen. Vielleicht suchte ich gerade darum das Gegenteil», sagt er selber von sich.
Dankbar für die Chance
Nun also folgt er nicht mehr einfach den Spuren des Krieges, bei seinen Einsätzen in der Ukraine für den «Blick» befindet er sich mittendrin. Zu seiner Stelle als Auslandsreporter ist er völlig unerwartet gekommen. Schumacher war zuletzt Co-Leiter des Auslandsressorts bei CH Media, koordinierte dort die Einsätze der vier festen und rund 40freischaffenden Korrespondenten. Er ist dem Verlag dankbar für diese Chance. Gleichzeitig spürte er mit der Zeit, dass er nicht gemacht ist für die administrativen Arbeiten eines Redaktionsleiters. «Ich will raus und Geschichten machen», sagt er von sich selber. Da sein, wo die Dinge passieren. «Das ist es, was mich reizt.» Bei einem Einsatz als Sonderkorrespondent in der Ukraine kurz vor Kriegsausbruch wurde der «Blick» auf ihn aufmerksam. «Ich habe mich nicht beworben, die wollten mich unbedingt», macht er deutlich.
Unterwegs im Kriegsgebiet
Inzwischen war er für den «Blick» zwei weitere Male in der Ukraine. Seine Berichte sorgten und sorgen immer wieder für Aufsehen. Angst hat er selten bei seinen Einsätzen. Aber ganz viel Respekt. Wenn er im Kriegsgebiet unterwegs ist, trägt er eine schwere Schutzweste, einen Helm. Im Vorfeld erhielt er eine Schulung, wie er sich im Kriegsgebiet zu verhalten hat. Das hätte ihm aber auch nichts genutzt, als bei einem seiner Einsätze ganz in der Nähe eine Rakete einschlug. «Da wird man schon nachdenklich», sagt er heute. Und trotzdem sei es wichtig, dass Journalisten dort ausharren und aus diesen umkämpften Gebieten berichten. «Es braucht Zeugen, die der Welt erzählen, was hier passiert», sagt er.
Auch die Menschen in der Ukraine sind froh darüber. «Als Reporter gehen mir fast überall die Türen auf. Die Menschen wollen berichten, was ihnen passiert», so seine Erfahrung. Dabei ist es ihm wichtig, längere Zeit an einem Thema dranzubleiben. «Die Menschen in der Ukraine wissen, dass ich immer wieder komme. Dass ich sie nicht vergessen habe.» Genau davor hat der 35-Jährige jetzt Angst: Dass die Menschen im Westen genug von der Ukraine haben, wenn der Winter kommt und sie wegen der grossen Strom- und Gasprobleme selber leiden. «Darum ist es wichtig, dass wir weiterhin von da berichten.»
Allerdings: Er sei beim «Blick» nicht als Kriegsreporter angestellt, hält er fest. So war er nach dem Tod der Queen in England unterwegs und ist diese Woche in die USA geflogen, um vor Ort tolle Geschichten rund um die Midterms-Wahlen vom kommenden Dienstag zu finden. «Möglichst abseits von Biden und Trump», schmunzelt er. Solche Einsätze seien eine wohltuende Abwechslung. Immer nur aus Kriegsgebieten berichten, das kann sich Schumacher nicht vorstellen. Und erzählt von einem brasilianischen Kriegsfotografen, den er kennenlernen durfte. «Ihn haben die Eindrücke aus diesen Gebieten so mitgenommen, dass er sich heute völlig zurückgezogen hat und nur noch das Schöne der Welt fotografiert.»
Aufmerksam und kritisch
So weit ist es beim Villmerger, der mit seiner Partnerin schon länger in Aarau lebt, nicht. Er ist immer noch daran interessiert, hinter die Fassaden zu blicken. Er will auch weiter dranbleiben beim Thema Ukraine. Will wieder dorthin reisen. Doch hat er nicht Angst, Teil der ukrainischen Propaganda zu werden, wenn er sich vom Militär durch die Gebiete führen lässt? «Natürlich benutzt die Ukraine propagandistische Mittel, damit sie die dringend notwendige Unterstützung erhält. Dieser Gefahr muss man sich bewusst sein, aufmerksam bleiben, kritisch nachfragen. Alles zu verifizieren, das ist hingegen in einem Kriegsgebiet nicht möglich, da wabert immer ein gewisser Nebel über das Schlachtfeld», erklärt er. Und würde es ihn nicht reizen, mal die Gegenseite zu beleuchten? «Ich würde sofort nach Russland reisen, wenn ich Garantien hätte, dass ich meine Arbeit gefahrlos ausüben kann. Das ist leider nicht der Fall», sagt er.
Grosse Solidarität erlebt
Als Auslandsreporter lebt Samuel Schumacher seinen Traum. Er kann reisen, Dinge kritisch hinterfragen, spannende Menschen kennenlernen, Geschichten suchen und schreiben oder auch vor der Kamera über seine Erfahrungen berichten. «Davor hatte ich anfangs Respekt, ich sah mich als Schreiber. Aber beim ‹Blick› wird man toll unterstützt bei der Arbeit vor und hinter der Kamera. Da hat es sehr erfahrene Leute, die einem gerne Tipps geben», erzählt er. Auch unter den Auslandsreportern erlebt er teilweise eine grosse Solidarität. «Okay, nicht, wenn es um den Tod der Queen geht. Da tummeln sich 1000 Journalisten vor dem Balkon und hoffen auf die eine exklusive Geschichte. Aber in Kriegsgebieten unterstützt man sich. Gibt den anderen Tipps. Stellt Kontakte her. Schliesslich sitzen wir alle im gleichen Boot.»
Seine langjährige Partnerin trägt seine Leidenschaft mit und unterstützt ihn. Sie hat jeweils nur einen Wunsch: «Bitte begib dich nicht in Lebensgefahr.» Wie lange die Faszination für solche Einsätze anhält, kann er nicht sagen. «Es ist schon irgendwie komisch. Ich selber war nie im Militär, sondern habe Zivilschutz geleistet. Meinen einzigen Schuss gab ich als Jugendlicher mit einem Luftgewehr ab. Und heute renne ich in Kampfmontur durch ein Kriegsgebiet, sehe das Leid und die Schäden, interviewe Hinterbliebene und ehemalige Kriegsgefangene. Und bin dabei, wenn russische Stellungen beschossen werden. Eigentlich ist es verrückt. Und trotzdem ist es genau das, was ich machen will.»