Neue Methode der Beschäftigung
23.04.2024 MuriZurück aus der Apathie
St. Martin führt interaktive Beschäftigung ein
Die Stiftung St. Martin setzt auf Innovation: Dank der «Tovertafel», einer interaktiven Spielkonsole, kann eine neue Aktivitätsform geboten werden. ...
Zurück aus der Apathie
St. Martin führt interaktive Beschäftigung ein
Die Stiftung St. Martin setzt auf Innovation: Dank der «Tovertafel», einer interaktiven Spielkonsole, kann eine neue Aktivitätsform geboten werden.
Die «Tovertafel» – zu Deutsch «Zaubertisch» – wurde eigens für das Gesundheitswesen entwickelt. Anhand dieser üben sich hauptsächlich demenzkranke, aber auch betagte Menschen in ihrer Feinmotorik. Zusätzlich hilft es ihnen in der Bewältigung von Apathiegefühlen. Ende 2023 getestet, hat das Alterszentrum St. Martin diese nun eingeführt. Dabei zeigte sich an der gestrigen Infoveranstaltung, wie sich diese neue Beschäftigungsform positiv auswirkt.
Nach erfolgreichem Test führt das Alterszentrum St. Martin die Spielkonsole «Tovertafel» ein
Betagte Menschen und Einwohnerinnen und Einwohner mit Demenz kognitiv beschäftigen und sie animieren, sich zu bewegen: Mit der «Tovertafel» (dt.: Zaubertisch) ist dies ganz einfach möglich. An der gestrigen Infoveranstaltung zeigte sich, dass diese aussergewöhnlich gut funktioniert – und generationenübergreifend Anklang findet.
Celeste Blanc
«Oh, wie cool, siehst du die grossen Blumen?», fragt ein kleines Mädchen die ältere Frau, auf deren Schoss sie sitzt. Beide schauen verblüfft auf den Tisch, auf dem sich die grosse Margerite im Kreis bewegt. Berühren sie sie, schwebt diese langsam von ihnen weg. Ziehen sie langsam Kreise auf ihrer Oberfläche, wird die Margerite je nach Streichrichtung grösser oder kleiner. Ganz vorsichtig zeigt das Mädchen der älteren Frau, wie sie dies zu tun hat. «Siehst du? Es ist ganz einfach.» Und tatsächlich, die Blume wird grösser und grösser. Die Bewohnerin lacht herzlich.
Es ist genau einer dieser Momente, für den die «Tovertafel», holländisch für «Zaubertisch», gedacht ist. Durch einen Beamer an der Decke werden verschiedene Spiele und Interaktionen auf einen Tisch projiziert. Dabei interagiert das Spiel mit den Bewegungen des Spielenden, die durch Sensoren erfasst werden. Aus der holländischen Demenzforschung hervorgegangen, fördert die «Tovertafel» die kognitiven und motorischen Fähigkeiten betagter Personen. «Weiter zeigt die Benutzung immer wieder, wie sie aber auch einen sozialen Zugang zwischen den Menschen schafft, etwa bei jenen, die an Demenz leiden», erklärt Bewegungswissenschaftlerin Eva van het Reve, die über ihre Firma «Dividat» das Gerät vertreibt.
Vielseitig einsetzbar
Es ist laut an diesem Morgen im Sitzungsraum des St. Martin. Adelina Hoxhaj, Gruppenleiterin der Kita Wichtelburg, ist mit ein paar Kindern zu Besuch. Durch das kantonale Projekt «Hopp-la» stattet die Wichtelburg dem Alterszentrum auf der anderen Seite der Strasse einmal im Monat einen Besuch ab. Der Austausch zwischen den Institutionen ist noch jung – erst zum dritten Mal ist Hoxhaj mit den Kindern im St. Martin. Auffällig ist die liebevolle Interaktion vor allem der Kinder. «Der Austausch mit der älteren Generation ist sehr wertvoll. Die Kinder sind sehr empathisch und verstehen sofort, wenn die Älteren etwas nicht mehr so gut können. Dann helfen sie ihnen», erzählt sie. Man verstehe sich blendend.
So auch an diesem Morgen. Eva van het Reve hat zwischenzeitlich das Spiel gewechselt. Die projizierten Blumen verwandeln sich in ein Blumenbeet, auf dem verschiedene Käfer krabbeln. Es gilt Samen zu säen, die Setzlinge zu giessen und zuzuschauen, wie die Pflanzen wachsen. Während die Kinder gekonnt die verschiedenen Stufen durchspielen, gehen die Bewohnerinnen mit ihnen die verschiedenen Gemüse- und Fruchtarten durch.
Wie sehr die «Tovertafel» die Aufmerksamkeit von betagten und demenzkranken Personen anspricht, das haben Studien bestätigt: Durch die spielerische Funktionsweise werden die Menschen aus ihrer teilweise schweren Apathie herausgeholt. Zudem führt das Spielen zur Steigerung der physischen Aktivität und Interaktion mit anderen und stimuliert verschiedene kognitive Ressourcen – sorgt also für Beschäftigung oder Entspannung. Aus dieser Vielzahl möglicher Beschäftigungsformen wurden insgesamt über 30 Spiele programmiert. «Erstaunlich in den Studien zu sehen waren auch die Effekte, welche die beruhigenden Spiele hatten», erzählt Eva van het Reve. Vor allem abends würden Demenzkranke oftmals zu nervösen Schüben neigen, die durch die «Tovertafel» beruhigt werden können. Dieser Effekt zeigt sich eindrucksvoll auch mit den Kindern am Tisch: War das Stimmengewirr beim Tischfussballspiel noch wenige Minuten zuvor laut, sitzen diese nun ruhig da und lauschen der Musik, während sie die Schmetterlinge beobachten, die auf ihrer Hand landen.
Ermöglicht Entlastung des Pflegepersonals
Für Eva van het Reve hebt sich die «Tovertafel» im Vergleich zu anderen computer- und roboterbasierten Technologien für Betagte durch seine Anspruchslosigkeit ab. Wird länger nicht interagiert, macht das Spiel auf sich aufmerksam. Durch die Projizierung auf einen Tisch ist die Interaktion nicht gefährlich. Zudem können – anders als bei einem Bildschirm – die hygienischen Standards eingehalten werden. Zudem ist das Design der Demenzforschung entsprechend ausgelegt, die Farben, Töne und Bewegungen sind «kein Entertainment», sondern wissenschaftlich belegte Beschäftigungsprogramme. «Und um gezielt Glücksgefühle zu schaffen.» Zudem bringt die «Tovertafel» einen weiteren ganz wesentlichen Vorteil mit sich: «Dadurch, dass sich die Erwachsenen gut mit sich selber beschäftigen können, entfällt in diesem Moment die Beschäftigung durch die Betreuenden, die angesichts des Personalmangels immer wieder vor Schwierigkeiten stellt», weiss van het Reve.
Raiffeisenbank Oberfreiamt finanziert das Projekt
Die Bewegungswissenschaftlerin kennt sich in Pflegeinstitutionen wie Alterszentren sehr gut aus. Ihre Eltern leiteten früher ein Altersheim, später doktorierte sie an der ETH in Bewegungswissenschaften und gründete aus der Abschlussarbeit heraus ihr Unternehmen Dividat AG, das sich hauptsächlich auf Techniken und Technologien von kognitiv-motorischem Training spezialisiert hat. Bereits vor zehn Jahren ist sie mit dem St. Martin und Josef Villiger in Kontakt gekommen. «Seither waren wir stetig dran, Programme zu finden, die sich für das St. Martin eignen», erklärt sie. Getestet habe man die «Tovertafel» Ende 2023. Vor allem die positive Wirkung auf apathische Demenzkranke in der Testphase habe überzeugt.
Finanziert wird die «Tovertafel» von der Raiffeisenbank Oberfreiamt. Anwesend an der Demonstration waren auch Sandra Riner, Mitglied der Bankleitung, und Mitarbeiterin Silvia Gut. Während Corona hat die Raiffeisenbank die Gelder, welche während der Pandemie eigentlich für Veranstaltungszwecke vorgesehen wären, in einen Fonds einbezahlt. Gut 100 000 Franken sind so zusammengekommen, die man nun in verschiedene Projekte im Oberfreiamt, etwa eine neue Grillstelle im Wald oder neue Wegweiser für den Freiämterweg, investiert. Auch für die «Tovertafel» wurde aus diesen Geldern die Finanzierung übernommen. «Wir sind total überzeugt, dass das eine sinnvolle Investition ist», so Sandra Riner. «Über längere Zeit können verschiedene Personen – ob Bewohner oder Besuchende – von dieser Anschaffung profitieren und gemeinsam in Interaktion gehen.» Und Gut fügt weiter an: «Es stellt vor allem für die Bewohner eine Abwechslung für den Alltag dar, eine etwas andere Form der Beschäftigung.»
Und das zeigte sich auch an diesem Morgen eindrucksvoll. Die Bewohnerinnen wie auch die Kinder genossen sichtlich den Moment miteinander – und waren erstaunt ob der vielen Spielmöglichkeiten, die sich vor ihnen auf dem Tisch ausbreiteten.