Schlammsauger für die Fische
16.12.2022 BremgartenSpatenstich zum Projekt Reaktivierung und Aufwertung «Stille Reuss» ist erfolgt
In den letzten Jahren ist die «Stille Reuss» bei Fischbach-Göslikon stark verlandet. Dies bedroht den Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten. Das deshalb seit ...
Spatenstich zum Projekt Reaktivierung und Aufwertung «Stille Reuss» ist erfolgt
In den letzten Jahren ist die «Stille Reuss» bei Fischbach-Göslikon stark verlandet. Dies bedroht den Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten. Das deshalb seit längerer Zeit aufgegleiste Projekt der Bremgarter Ortsbürgergemeinde zur Wiederherstellung der Wasserflächen wurde nun in Angriff genommen.
Marco Huwyler
Eigentlich ist es ein ganz natürlicher Prozess. Ein Fluss lebt, bewegt und verändert sich stetig und damit tut dies auch die Umgebung um ihn herum. Bei jedem Hochwasser werden gewaltige Wasser- und Schlammmassen bewegt und an neue Orte verlagert. So entstehen neue Flussläufe und Feuchtgebiete, während andere wieder verschwinden.
Eigentlich. Denn seit der Mensch mehr und mehr die Kontrolle über die Ufer übernommen hat, wird solcherlei wildes Treiben der Natur nicht mehr geduldet. Stillgewässer wie der von der Reuss abgetrennte Altarm in der Auenlandschaft von Fischbach-Göslikon entstehen in der kanalisierten Moderne nicht mehr von alleine. Und deshalb ist es notwendig, dass bei bestehenden Bijous wie bei der «Stillen Reuss» eingegriffen wird, damit sie nicht verlanden. Denn sie bieten vielen Tier- und Pflanzenarten wertvolle Laich- und Rückzugsorte und sind essenziell für die Vielfalt und das Überleben zahlreicher Wasserbewohner.
Der gigantische Staubsauger
Die Ortsbürgergemeinde Bremgarten, Fischenz-Inhaberin dieses Reussabschnittes, hat deshalb schon vor einiger Zeit das Projekt zur Reaktivierung und Aufwertung der Stillen Reuss initiiert, das nun endlich seinen Spatenstich erfuhr. «Es waren viele Hindernisse und Abklärungen zu bewältigen», erzählt Bernhard Koch, Präsident der Fischereikommission Bremgartens. «Am Ende wurde das Projekt immer grösser mit immer mehr Involvierten. Wir sind alle froh, dass es nun losgehen kann.» Neben der Bremgarter Ortsbürgergemeinde beteiligen sich auch der Kanton Aargau, die Gemeinde Fischbach-Göslikon, die AEW und das EWZ an den Kosten. Sie alle versammeln sich an diesem kalten Dezembermorgen am Ort des Geschehens und werden Zeuge, wie so was wie ein gigantischer Staubsauger per Lastkran in die Stille Reuss gehoben wird. Dort wird er ab dem neuen Jahr für rund einen Monat seine Arbeit verrichten und rund 5500 Kubikmeter Sediment abtragen. Bereits im Februar sollte die Stille Reuss dann wieder «sauber» sein und über wieder mehr Wasservolumen verfügen. Die Tiefe wird von teilweise nur noch 10 bis 20 Zentimetern durchgehend auf zwei Meter ausgeweitet. Darüber hinaus sollen auch neue Weiher entstehen, die insbesondere Amphibien neue Laichplätze bieten.
Sediment als Dünger
Verantwortlich für die Realisierung des Projekts ist ein Ingenieurbüro aus Aarau in der Person von Marco Kaufmann. Bereits vor vier Jahren wurde er damit betraut und hat seither zahlreiche Abklärungen und Vorbereitungen durchgeführt. «Im Vorfeld eines solchen Vorhabens ist es wichtig, dass man die Beschaffenheit des Geländes und die Belastungsfähigkeit seiner Sedimente genau analysiert», erklärt er. Auch biologische Untersuchungen müssen durchgeführt werden. So hat man in der Stillen Reuss etwa eine seltene Muschelart gefunden, deretwegen das Projekt leicht angepasst werden musste. Nun, da die Dimensionen der anfallenden Sedimente einigermassen bekannt sind, kann mit den Arbeiten begonnen werden. Das monströse Saugbaggerschiff wird ab dem 9.Januar täglich gewaltige Mengen an Wasser durch 35 Meter lange Schläuche an Land pumpen.
Auf dem Entwässerungsplatz, der auf einem angrenzenden Feld installiert wurde, sammelt sich dieses in gigantischen Schläuchen, in sogenannten «Geotubes», die an riesige Blutwürste erinnern. Dort wird das Wasser wie in einer Kläranlage mittels Hinzufügen eines chemischen Mittels gefiltert, bevor es kristallklar wieder in die Stille Reuss umgeleitet wird. Zurück bleibt in den «Blutwürsten» das herausgefilterte Sediment, das hier während zweier Monate austrocknet und danach auf den Feldern zahlreicher Bauern der Region als Dünger genutzt werden kann. «Der Prozess und das Resultat sind ziemlich eindrücklich und dürften sicherlich auch den einen oder anderen Einwohner oder Passanten interessieren», lächelt Kaufmann. Gegen Ende Januar dürfte sich ein Besuch des Spektakels am meisten lohnen, da dann schon ein Grossteil des herausgefilterten Schlammes gesammelt ist und die Arbeiten immer noch im Gange sein werden.
Nachhaltig naturverbunden
Selbstredend wird die Reuss auch in den nächsten Jahren nicht damit aufhören, ihren Wasserstand zu ändern, zuweilen über die Ufer zu treten und dabei gewaltige Mengen an Sediment zu transportieren. «Wenn wir keine Massnahmen ergreifen würden, dann könnten wir die ganze Übung in ein paar Jahren wiederholen», sagt Kaufmann. «Bei jedem Hochwasser wird die Stille Reuss nämlich naturgemäss ein klein wenig verlanden, da der Fluss hier Material hinspült.»
Deshalb haben sich die Verantwortlichen eine Gegenmassnahme überlegt, damit der Schlammsauger hoffentlich nicht nochmals anrücken muss. Der Stillen Reuss vorgelagert wird ein grosses Becken als «Sandfang» ausgehoben. Dieses soll dann gezielt mehrere Male pro Jahr geleert werden können, sodass ein Grossteil der Sedimente abgefangen wird, bevor sie in den Altarm gelangen. Nachhaltig und langfristig ausgelegt soll das Projekt sein. «Als grösste Privatfischenz des Kantons wollen wir, dass unser Gebiet attraktiv und voller Artenvielfalt bleibt», sagt Fischereikommissionspräsident Koch. «Die Stille Reuss und das Projekt hier sind dafür ein Paradebeispiel, dem noch viele folgen sollen.»