Schritt für Schritt wieder ins Leben
12.09.2023 Muri«Schräge Vögel» als Bereicherung
Das Murimoos hat seinen 90. Geburtstag gefeiert
Das Murimoos trägt das Image von Muri weit über die Region hinaus. Nun hat die Institution ihr Jubiläum gefeiert. Regierungsrat ...
«Schräge Vögel» als Bereicherung
Das Murimoos hat seinen 90. Geburtstag gefeiert
Das Murimoos trägt das Image von Muri weit über die Region hinaus. Nun hat die Institution ihr Jubiläum gefeiert. Regierungsrat Alex Hürzeler und Gemeindepräsident Hans-Peter Budmiger überbrachten Grussbotschaften.
«Das Murimoos verkörpert einen Ort, an dem Menschen zur Selbstständigkeit ermutigt werden», hielt Regierungsrat Alex Hürzeler fest. Der Vorsteher des Departements Bildung, Kultur und Sport hat es sich nicht nehmen lassen, am Festakt zum 90-jährigen Bestehen der Institution persönlich die Grüsse der Aargauer Regierung zu überbringen. Dabei strich er die Weitsicht von Samuel Holliger heraus, die 1933 zur Gründung der damaligen Arbeitskolonie geführt hatte.
Gewinn für Muri und die Region
Gino Fiorentin, Präsident des Vereins Murimoos, hat die Gründungsgeschichte in seiner Begrüssung Revue passieren lassen. Es ist die Geschichte eines reformierten Pfarrers, der grosse Widerstände überwinden musste, um seine Vision umsetzen zu können. Die Geschichte eines damals wertlosen Stücks Land, auf dem die ersten Bewohner ihre Baracken selbst erstellen mussten. Und die Geschichte eines beeindruckenden Wandels von der Kolonie, in der die Bewohner an sechs Tagen pro Woche je neun bis elf Stunden schuften mussten, zur agogischen Einrichtung mit einer Vielfalt an Arbeitsplätzen. «Die Tagesstruktur ist den Leuten heute viel wichtiger als das Wohnen», so Gino Fiorentin.
«Das Murimos und seine Bewohner gehören schon längst zum Dorfbild», stellte Hans-Peter Budmiger, Gemeindepräsident von Muri, fest. Und wenn er von «schrägen Vögeln» spricht, klingt das nicht despektierlich: «Zum Glück gibt es die ‹schrägen Vögel› immer noch», betont er. «Ich hoffe, das bleibt so, denn ohne sie würde etwas fehlen.» Und nicht nur die Menschen seien eine Bereicherung, sondern auch ihre Produkte. Als Beispiel nennt Budmiger die Spielgeräte aus der Institution, die das Image von Muri weit über die Region hinaustragen.
Für die Zukunft wünschte der Gemeindepräsident der Institution Zufriedenheit, Freunde, Erfolg, Mut, Gesundheit und Glück. Wobei Letzteres einen nur dann treffen könne, wenn man die Voraussetzung dafür geschaffen habe. Dass diese Zukunft kein Selbstläufer wird, versteht sich von selbst. Die Institution bewege sich in einem komplexen Umfeld, so Fiorentin. Dazu gehören die Vorgaben des Kantons und der Fachkräftemangel, aber als produzierender Betrieb auch die steigenden Energieund Materialpreise. Und natürlich die Infrastruktur. Hier stehen beim Direktverkauf und beim Wohnen Investitionen an. --tst
90 Jahre Murimoos: Das Fest vermittelte spannende Eindrücke und Informationen
Menschen auf ihrem Lebensweg begleiten und in die Gesellschaft integrieren – bei allem Wandel ist diese Grundaufgabe immer noch dieselbe wie vor 90 Jahren.
«Jede Institution muss sich immer wieder selbst überdenken», nannte Regierungsrat Alex Hürzeler als wichtigen Faktor für eine gesunde Entwicklung. Fürs Murimoos stehen in den nächsten Jahren Infrastrukturprojekte an, etwa im Direktverkauf, aber vor allem auch im Bereich Wohnen. Zimmer mit gemeinsamen Duschen und WCs seien schlicht nicht mehr zeitgemäss, «das wollen wir in den nächsten fünf Jahren angehen», so Gino Fiorentin, Präsident des Vereins Murimoos. Der Kanton werde den Prozess aktiv begleiten und auch Unterstützung bieten, sicherte Hürzeler zu.
Grilladen, Livemusik und informativer Rundgang
Zahlreiche Besucherinnen und Besucher, viele auch zu Fuss und mit dem Velo, haben bei hochsommerlichen Bedingungen zum Fest gefunden. Rund 2000 seien es gewesen, schätzt Murimoos-Geschäftsführer Michael Dubach. Empfangen wurden sie von Livemusik der Band Rainy Mountain und dem Geruch der Grilladen. Auf dem ganzen Gelände boten sich den Interessierten Einblicke ins vielfältige Angebot der Institution. Mancherorts konnten sie selbst Hand anlegen, etwa beim Basteln mit Holz oder beim Rüebliernten.
Pia-Cristina Zimmermann, im Vorstand des Vereins Murimoos verantwortlich für den Bereich Betreuen und Wohnen, zeigte anhand von drei Beispielen auf, was die Institution ihren Bewohnerinnen und Bewohnern bieten kann. Etwa für die Person, die nach einem Burn-out Schritt für Schritt wieder ins Leben und in den ersten Arbeitsmarkt zurückfindet. Oder für die verzweifelte Jugendliche, die im Umgang mit den Tieren im Stall plötzlich zu singen beginnt. Oder für den Alkoholiker, der einen Weg aus der Sucht in ein selbstbestimmtes Leben schafft und sogar den Führerschein machen darf.
Cécile Burkart, Teamleiterin Hauswirtschaft, trägt die Verantwortung für elf Arbeitsplätze, darunter drei geschützte. Ihr Team kümmert sich nicht nur um die Reinigung, sondern auch um die Wäsche – selbst für Externe. In der Schreinerei sind derweil die Pferdesport-Hindernisstangen besonders beliebte Werkstücke. In der Landwirtschaft wurden zuletzt pflanzliche Produkte gefördert. Das Murimoos setzt dabei voll auf Bio-Qualität, was viel Handarbeit bedeutet. Michael Weber, der für den Gemüsebau verantwortlich ist, berichtete von den Erntearbeiten: Die Kartoffeln seien durch, Randen und Sellerie noch am Laufen.
Alte Grubenlok und moderne Biogasanlage
Seit 2019 ist die Biogasanlage in Betrieb. Statt wie üblich Gülle wird hier in fünf Boxen in dreiwöchigem Prozess Mist vergärt. Nach einigen Startschwierigkeiten decke die Anlage mittlerweile den Strombedarf von rund 100 Haushalten, führte Vereins-Vizepräsident Josef Villiger aus.
Ein Highlight hat sich die Murimoos-Führung als Schlusspunkt für den geführten Rundgang mit Alex Hürzeler aufgehoben. Auf dem Festplatz darf der Regierungsrat eine alte Grubenlok ankurbeln, die in einer Scheune gefunden und restauriert wurde. Sie hat in früheren Zeiten die Wagen mit dem abgebauten Torf nach Muri gezogen.
Torf spielt schon längst keine Rolle mehr im Alltag des Murimoos. Geblieben ist das ursprüngliche Ziel: Menschen auf ihrem Lebensweg begleiten und sie in die Gesellschaft integrieren. --tst