Sechs Jahre bis Silber

  07.04.2021 Sport

Benno Wiss nahm 1984 an Olympia teil

Knapp acht Jahre dauerte die Radsportkarriere des Dietwilers Benno Wiss. Angefangen mit 16, Rücktritt mit 24. In dieser kurzen Zeit hat der Freiämter einiges erlebt. Unter anderem gewann er 1984 in Los Angeles Olympiasilber.

Die Gemeinde Dietwil im Süden des Freiamts zählt etwas weniger als 1400 Einwohner. Unter ihnen ist jedoch ein Mann, der an den Olympischen Spielen teilgenommen und sogar eine Medaille gewonnen hat.

Benno Wiss war bereits in der Lehre, als ihn die Faszination für den Radsport gepackt hat. Mit 16 Jahren fing er im Radrennclub Luzern an. Mit 21 Jahren durfte er sich schon Vizeweltmeister nennen. Ein Jahr später, 1984 in Los Angeles, holte er im Alter von 22 Jahren im Mannschaftszeitfahren an den Olympischen Spielen den 2. Rang. In sechs Jahren wurde aus dem Newcomer ein Medaillengewinner. Danach ging seine Karriere nicht mehr lang. Mit 24 Jahren gab er bereits seinen Rücktritt. In den letzten zwei Jahren seiner Karriere fuhr er als Profi. --jl


Als Dietwil Olympiasilber feierte

Serie «Freiämter Olympioniken»: Benno Wiss aus Dietwil – Olympia 1984 in Los Angeles

Spät angefangen und früh aufgehört. So lässt sich die Radsport-Karriere von Benno Wiss beschreiben. Aus der kurzen Karriere hat der Dietwiler aber das Maximum rausgeholt. «Damals wollte man als Amateurradsportler zwei Dinge: an den Olympischen Spielen teilnehmen und Profi werden», sagt er. Beides ist ihm gelungen.

Josip Lasic

Olympia 1984 in Los Angeles. Die Sowjetunion und 18 weitere Staaten des Ostblocks boykottieren die Olympischen Spiele. Es ist eine Retourkutsche an den Westen. Vier Jahre zuvor boykottieren die USA und 41 andere westliche Staaten Olympia in Moskau. Der Boykott des Ostblocks ist für Benno Wiss eine grosse Chance.

Der Dietwiler holt ein Jahr zuvor mit drei anderen Radsportlern im Mannschaftszeitfahren auf der Strasse den Vizeweltmeistertitel. Weltmeister wird die Sowjetunion. «Wir dachten uns anhand dieser Ausgangslage, dass etwas drin liegt», erzählt der Freiämter. Das Problem: In Los Angeles ist Wiss der einzige Fahrer aus dem Vizeweltmeisterteam des Vorjahres. Die Schweiz ist trotzdem erfolgreich. Wiss und sein Team holen hinter Italien die Silbermedaille.

Dietwiler durch und durch

Benno Wiss lebt nach wie vor in Dietwil. In einem Haus, das gleich neben seinem Elternhaus steht. Er ist Vater von vier Kindern und Grossvater von zwei Enkelkindern. Die Medaille ist fein säuberlich im Schrank verstaut. Im Garten steht eine kleine Figur, die einen Velofahrer darstellt. Der Radsport ist nach wie vor seine Leidenschaft. Allerdings nur als Hobby. «Es ist für mich nach wie vor die schönste Sportart. In einem Verein bin ich aber nicht mehr. Ich bin kein Vereinsmensch. Dafür bin ich zu introvertiert. Das ist unter Radsportlern nicht so selten», erklärt er.

Dietwil ist die südlichste Gemeinde im Freiamt und im Kanton Aargau. Es ist und bleibt die Heimat von Benno Wiss. Das kleine Dorf mit etwas weniger als 1400 Einwohnern hat seinen berühmtesten Sohn nach dem Medaillengewinn 1984 mit einem grossen Fest empfangen. «Ich wurde mit einer Kutsche abgeholt. Es hat in Strömen geregnet», berichtet Wiss lä- chelnd. «Dann wurde ich in die Turnhalle in Dietwil gebracht. Dort fand das Fest statt. So gut wie das ganze Dorf war da.» Ein Olympiamedaillengewinner war für Dietwil eine Sensation. Und für Benno Wiss war es neben dem Vizeweltmeistertitel der grösste sportliche Erfolg.

Aus zwei Teams wird eines

Zum Radsport kam Wiss dabei eher spät. Seine sportliche Karriere begann bei den Junioren des FC Dietwil. Eines Tages zeigt ihm ein Kollege sein neues Rennvelo. Wiss ist von diesem Fahrrad fasziniert. «Ich habe mir dann ein Buch zum Thema Rennrad gekauft. Dort gab es auch ein Kapitel über den Radsport. Das war quasi mein Einstieg in die Sportart.» Zu diesem Zeitpunkt ist der Freiämter schon 16 Jahre alt.

Er wird Mitglied beim Radrennclub Luzern. Ein Rennen in Einsiedeln gibt der Karriere den nötigen Schub. Der Sportler hat niemanden, der ihn nach Einsiedeln fahren kann. Also fährt er gleich mit dem Rad dorthin, gewinnt das Rennen, und fährt wieder mit dem Rad nach Dietwil zurück. Das fällt Robert Thalmann auf. Der ehemalige Radsportler und Oympiateilnehmer von 1976 in Montreal ist damals Trainer, Sportlicher Leiter und Team-Manager. Er nimmt Benno Wiss in seine «Equipe Thalmann» auf und fördert ihn. «Das Mannschaftszeitfahren war ein Steckenpferd von Thalmann. Und ein Team für Olympia zusammenzustellen, war ein langfristiges Projekt», erzählt Wiss. Profis waren zu dieser Zeit ausgeschlossen von Olympia. «Als Amateur hattest du damals zwei Ziele. Einerseits Olympia und andererseits Profi zu werden.»

1982 setzt die Schweiz im Mannschaftszeitfahren auf der Strasse ein erstes Ausrufezeichen. An der WM in England werden die Schweizer Vizeweltmeister – ohne Benno Wiss, der zu diesem Zeitpunkt in der Rekrutenschule weilt. Ein Jahr darauf findet die WM in der Schweiz, genauer gesagt in Altenrhein im Kanton St. Gallen statt. Die Schweizer setzen alles daran, bei der Heim-WM erfolgreich zu sein. Es sind vier komplett andere Fahrer, darunter Benno Wiss, die den Vizeweltmeistertitel verteidigen. Aus den Fahrern der beiden WMs wird das Team für Los Angeles zusammengesetzt. Benno Wiss, Alfred Achermann, Richard Trinkler und Laurent Vial holen Silber in den USA.

Rutschpartie in Los Angeles

Los Angeles war allerdings kein Zuckerschlecken. Der Eröffnungsfeier hat Benno Wiss nicht beigewohnt. Grund: Am nächsten Tag startete er im Einzel im Strassenrennen. «Ich war noch völlig fertig vom Jetlag und hatte mit der Hitze zu kämpfen.» Er beendet das Einzelrennen nicht. «Wofür sollte ich mich kaputtmachen, wenn ich wusste, dass nichts geht und ich noch das Teamrennen vor mir habe?»

Bis zum Teamwettkampf hatte sich der Dietwiler auch an die Temperaturen von Los Angeles gewöhnt. «Wir waren so auf unseren Wettkampf fokussiert, dass wir keine anderen Wettkämpfe besucht haben und uns auch sonst nicht ablenken liessen», erzählt er. «Dafür konnten wir etwas von der Stadt sehen. Für das Training verliessen wir das olympische Dorf und fuhren in der Stadt.» Die meisten Trainingsrouten waren etwas ausserhalb des Stadtzentrums. Wiss hat es genossen, der Küste entlangzufahren. Einige Routen führten allerdings in zentrale Stadtteile von Los Angeles. «Freundlich ausgedrückt, ist es sicher keine Velofahrerstadt. Und bei Regen mussten wir enorm aufpassen. Der Belag wurde dadurch sehr rutschig. Das war nicht mit einer nassen Strasse in der Schweiz zu vergleichen. Zahlreiche Fahrer sind gestürzt.»

Nach dem Teamzeitfahren sind die Radsportler schnell abgereist. Wiss hatte nur einen Nachmittag zur Verfügung, um noch etwas vom olympischen Dorf zu sehen. «Danach mussten wir zurück. In der Schweiz stand die Mannschaftsmeisterschaft im Zeitfahren an.» Diese findet in Wohlen statt. Es ist quasi ein Heimspiel für den Freiämter. Wiss, der damals für den RMV Hochdorf fährt, gewinnt auch diesen Wettkampf. Die vorzeitige Abreise von den Olympischen Spielen hat sich gelohnt.

Obwohl er keine weiteren Wettkämpfe sehen konnte, beschreibt Benno Wiss Olympia in Los Angeles als grossartiges Erlebnis. «Ich konnte eine neue Kultur sehen. Unglaublich, wie gross die Stadt ist. Unvorstellbar aus Schweizer Sicht.»

Profisport war nicht seine Welt

Kurz nach den Olympischen Spielen wurde für Benno Wiss auch der zweite Traum eines Amateur-Radsportlers wahr. Er erhielt einen Profivertrag. Der Dietwiler unterzeichnete beim französischen Rennstall La Vie Claire. Er gewann bei der Tour de l’Avenir mehrere Etappen. Ebenso bei weiteren Rennen. An der Tour du Limousin holte er 1985 den zweiten Rang in der Gesamtwertung. Völlig angekommen ist er aber nie im Profisport. «Das war nicht meine Welt», sagt er. «Einerseits war es mir zu aufwendig, so viel zu reisen. Andererseits hat es mich gestört, nur noch Rad zu fahren. Ich fühlte mich unter Druck, immer Leistung zu bringen. Als Profi muss man häuug ‹ellbögle› und kaltblütig sein. Man muss bereit sein, Risiken auf sich zu nehmen, sich unter Umständen in gefährliche Situationen zu begeben. So bin ich nicht. Das hat mir ein wenig die Freude am Sport genommen.»

Zwei Jahre ist Benno Wiss als professioneller Radsportler unterwegs. Dann beendet er 1986 überraschend seine Karriere. Er ist zu diesem Zeitpunkt erst 24 Jahre alt. «Die besten Jahre für einen Ausdauersportler wären erst gekommen. Aber für mich hat es so gepasst.» Eine Radsportkarriere, die insgesamt rund acht Jahre dauerte und trotzdem mit einem Vizeweltmeistertitel, Olympiasilber und einem Profivertrag gekrönt wurde.

Kontakt mit Förderer blieb bestehen

Eine Zeit lang war Wiss noch als Funktionär im Radsport tätig. «Das dauerte allerdings nicht lange», sagt Wiss, der eine Lehre in Elektronik und Mechanik abgeschlossen hat. «Irgendwann hat mir die Zeit dafür gefehlt.» Heute arbeitet der Silbermedaillengewinner als Software-Entwickler in einem Unternehmen in Steinhausen. Sein grösster Bezug zum Radsport war ein regelmässiger Kontakt mit seinem Förderer Robert Thalmann. Bis dieser 2017 gestorben ist.

«Ansonsten habe ich keinen grossen Kontakt mehr in die Radsportszene», sagt Wiss. Von seinen Kindern ist niemand in seine Fussstapfen – oder besser gesagt Pedale – getreten. «Das war auch nie das Ziel. Sie treiben Sport, aber nicht so intensiv wie ich. Für mich war es damals die ideale Sportart. Deshalb fahre ich auch heute noch gern Rad.»


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