Sforza junior
26.01.2021 SportRückschläge prägten die Karriere von Gianluca Sforza – nun setzt er auf E-Sport
Gianluca Sforza war auf dem Weg zum Profifussballer. Wie sein Vater Ciriaco. Doch immer wieder werfen ihn Verletzungen zurück. Heute engagiert sich der 24-jährige Wohler in der Profiwelt der elektronischen Spiele.
Stefan Sprenger
Ein Ebenbild des Vaters. Der Blick von unten herauf, der Gang, die Bewegungen und die Redensweise. Ja sogar die gekräuselten, schwarzen Haare und die zuckende Augenbraue erinnern an seinen Vater. Gianluca Sforza erzählt, dass er auch schon nur alleine wegen seines Aussehens darauf angesprochen wurde, ob er nicht der Sohn dieses berühmten Fussballers sei. «Ich nehme es so zur Kenntnis», sagt der 24-Jährige mit einem Lachen. «Ich bilde mir nichts ein auf den Namen Sforza. Ich bin ich.»
Fersenbruch links, Fersenbruch rechts
Gianluca Sforza schreibt seine eigene Lebensgeschichte. Sie hat ebenfalls viel mit Fussball zu tun. Sein erster Verein heisst 1. FC Kaiserslautern. Während der Vater als Profi auf dem «Betzenberg» spielt, kickt Gianluca bei den Junioren. Ab dem Jahr 2006 ist die Familie zurück in der Schweiz und Gianluca durchläuft beim FC Wohlen alle Juniorenstufen, bis er 15 Jahre alt ist. Der Bezirksschüler ist talentiert, setzt alles auf die Karte Fussball. Bei der «United School of Sports» kann er Sport und Ausbildung verbinden.
Zehn Jahre ist es her. Er spielt beim FC Wohlen in der U15. «Dort passiert es», erzählt Sforza nachdenklich. Fersenbruch links. Fersenbruch rechts. «Wegen des schubweisen Wachstums und der Überbelastung reagierte mein Körper.» Er muss pausieren, der geplante Sprung zum Team Aargau gelingt deshalb nicht. Sforza geht später zum FC Zürich in die U17. Dort spielt er fast ein Jahr. Auch hier sehen die Verantwortlichen, dass er viel Talent hat. Die Verletzungen sorgen aber dafür, dass er im Rückstand ist. In die U18 des FCZ schafft er es nicht. Sforza geht zurück an seinen Wohlfühlort: die Niedermatten in Wohlen.
In seinem Leben wird er immer wieder damit konfrontiert, dass er der Sohn des berühmten Ciriaco Sforza ist. Jener Wohler, der schon mit 16 Jahren zu GC wechselte und später Nati-Captain wurde, bei Bayern München und Inter Mailand spielt – und bis heute zu den besten Schweizer Fussballern aller Zeiten zählt. Heute ist sein Vater Trainer des FC Basel. Sein Sohn sagt: «Jeder Mensch reagiert anders auf den Namen Sforza.» Als Jugendlicher habe er nicht immer gewusst, wie er damit umgehen soll. «Bei einigen Menschen hatte ich dadurch Vorschusslorbeeren. Andere mochten mich weniger.» Je nachdem eben, ob man Ciriaco-Sforza-Fan war – oder nicht. Er sagt: «Ich bin froh, einen so coolen Daddy zu haben. Ich konnte viel lernen von ihm.» Und auch wenn er nach der Scheidung der Eltern mehrheitlich bei der Mutter Nicole aufwuchs, sei das Verhältnis zum Vater gut. «Wenn ich ihn brauche, ist er immer für mich da.»
Gianluca Sforza wünscht sich, dass die Menschen genauso auf ihn zukommen, wie er es tut. «Ich begegne jedem Menschen mit Anstand, Respekt und Toleranz.» Hautfarbe, Religion, Alter – oder wer der Vater von jemanden ist – «spielt absolut keine Rolle».
Rückfäll im Militär, Höhepunkt beim FC Mutschellen
Zurück zu seiner fussballerischen Karriere. Bei Wohlen U23 findet er zu alter Stärke. Markus Brunner, Michelle De Rosa, Reto Salm, Alessio Passerini und Mirko Pavlicevic heissen seine Trainer. 2016 schafft es Sforza ins Kader des FC Aarau U21. Der Traum des Profifussballers lebt wieder. Doch nicht für lange. Gianluca Sforza muss in die Rekrutenschule und nach wenigen Wochen melden sich die Fersenprobleme zurück. Untauglich im Militär, Verletzt im Sport. Ein «Seich» sei das gewesen.
Er beginnt als KV-Angestellter bei der BMW-Garage in Dielsdorf zu arbeiten – und verlässt den FC Aarau. Sforza geht zum FC Muri ins Probetraining. Und es gefällt ihm auf der Brühl. Eine Woche vor dem Trainingslager – im Februar 2017 – zieht er sich eine Bänderverletzung zu. Der Durchhaltewillen des jungen Sforza wird erneut auf die Probe gestellt. Er denkt ans Aufhören – oder zumindest an eine längere Pause. Der FC Lenzburg kommt auf ihn zu. Sforza wechselt, kuriert seine Verletzung aus und hat gegen Ende der Saison sporadisch Einsätze in Lenzburg.
Im Sommer 2017 küsst ihn das Glück. Sergio Colacino, Trainer des FC Mutschellen, meldet sich bei Gianluca Sforza. Und der Wohler findet eine neue fussballerische Heimat. «Die beste Zeit meiner bisherigen Karriere», meint er dazu. «Ein toller Verein mit coolen Leuten. Alle sind Kumpels, auf und neben dem Platz», so Gianluca Sforza. Das Highlight: der Sieg im Aargauer Cup 2019. Sforza ist im defensiven Mittelfeld eine wichtige Stütze im Team der Mutscheller. Sein Ehrgeiz ist dabei unzähmbar. «Das Feuer für den Fussball habe ich von meinem Vater geerbt», sagt er.
Mutschellen-Trainer Sergio Colacino bestätigt, dass «Gianluca ein sehr ehrgeiziger und in seiner Vorbereitung ein unglaublich disziplinierter Spieler ist». Er sei kräftig und sehr explosiv. So wurde er nicht nur als Innenverteidiger, sondern auch als hängende Spitze eingesetzt. Ausserhalb des Fussballrasens beschreibt Colacino ihn als «ruhig, respektvoll und bodenständig». Und als anständigen Menschen.
«Ich habe realisiert, dass ich eine Pause brauche»
In der Zeit beim FC Mutschellen geschieht bei ihm persönlich ein Wandel. Der Traum vom Profifussball ist ausgeträumt für Gianluca Sforza. Oder wie er es sagt: «Der Profizug ist abgefahren, da bin ich realistisch.» Er ergänzt: «Mein Fokus hat sich verändert. Mein Ehrgeiz nicht.» Im Cupspiel gegen Nyon aus der 1. Liga Promotion erleidet er einen Muskelfaserriss. Er verpasst beinahe die ganze Vorrunde. Vor genau einem Jahr zieht er die Reissleine. «Ich habe realisiert, dass ich eine Pause brauche vom Fussball. Seit ich klein bin, war der Fussball immer sehr präsent, jetzt wollte ich mich beruflich weiterentwickeln und schauen, was passiert.» 2020 war für ihn ein Jahr ohne Fussball. «Und es war eines der lehrreichsten Jahre meines Lebens.»
Er steigt ins E-Sport-Geschäft ein. Sforza, der heute in Anglikon wohnt, bietet professionellen «Gamern» ein Coaching an. www.grinding-life.com lautet seine Homepage. Sforza absolviert dafür ein Fernstudium zum E-Sport-Performance-Coach.
Den E-Sportlern helfen
Die Kernstücke seiner Arbeit: Fitness, Ernährung, Mentalcoaching und Erholung. Er will mit seinen Erfahrungen im Leistungssport den E-Sportlern helfen. «Was wichtig ist für einen Fussballer, ist auch wichtig für einen Sportler bei elektronischen Spielen.» Sforza nennt die «Gamer» bewusst Sportler, weil es «Höchstleistungen sind, was sie abliefern». Das Vorurteil, dass «Gamer» Leute sind, die Chips essen und auf der faulen Haut liegen, ist lange überholt. Jedenfalls wenn es um E-Sport geht.
Der E-Sport erlebte in den letzten Jahren einen Boom. Mit der Digitalisierung wächst die Branche extrem. Der weltweite Umsatz im E-Sport-Markt belief sich im Jahr 2019 auf 958 Millionen US-Dollar, 2020 waren es schon über eine Milliarde. Laut Prognosen sollen diese Zahlen bis 2023 auf über 1,6 Milliarden US-Dollar ansteigen. Die besten E-Sport-Spieler können davon leben. Die Besten – und solche, die es werden wollen – will Gianluca Sforza mit seinem Angebot ansprechen. «Ich will den E-Sportlern helfen, das Bestmögliche für ihren Geist und ihren Körper zu tun, damit sie noch Leistungsfähiger werden.» Auch wenn Sforza selbst manchmal Computerspiele zockt, so bezeichnet er sich nicht als E-Sportler. «Es ist mehr ein gemeinsamer Austausch, der zu Coronazeiten vermehrt online stattfindet.»
Natürlich spielt er auch manchmal Fussball auf seinem Computer. Im vergangenen Jahr hat er aber nicht einmal einen Ball berührt. Er probierte neue Dinge aus. Skifahren, Volleyball, Tennis – oder er ging einfach mal joggen auf dem Wohler Vita-Parcours. «Ich brauche täglich meine Dosis Sport», sagt er lachend.
Comeback ist möglich
Doch der Fussball rückte in den Hintergrund. Trotzdem war er oft an den Heimspielen des FC Mutschellen. «Ein Comeback ist nicht auszuschliessen», meint er und hüllt sich in Geheimnis zum Zeitpunkt der Rückkehr. «Corona hat den Fussball sowieso lahmgelegt. Ich habe keinen Stress.» Mutschellen-Trainer Colacino hofft, «dass er bald wieder einsteigt bei uns im Team».
Wichtig ist für Sforza, dass er sein eigenes Ding durchzuzieht. «Ich will Gas geben im Job. Wenn es irgendwie geht, würde ich meine Arbeit mit den E-Sportlern gerne weiter ausbauen in Zukunft», so Gianluca Sforza, der im Mai 2022 seine Ausbildung zum E-Sports-Coach abgeschlossen haben will. Er will, dass dieses Projekt klappt und er etwas Eigenes auf die Beine stellen kann. Er betont nochmals, dass er keine Spezialbehandlung von den Menschen will.
Als sein Vater kurz auch sein Trainer war
Gianluca Sforza erzählt eine Anekdote aus seiner Zeit beim FC Wohlen. 2014 war er im Kader der U23, durfte dann im Challenge-League-Team mittrainieren. Ciriaco Sforza übernahm damals den FC Wohlen. Der Vater Trainer, der Sohn Spieler. Und Gianluca erlebte keine Sonderbehandlung. «Im Gegenteil», lacht er. «Beim Materialdienst war ich omnipräsent. Ich musste die Bälle pumpen und war der Wasserträger.» Genau so wünscht er sich das. Keine Sonderbehandlung wegen seines Namens. «Ich bin ich.»