«Sorgenkind» mit vielen Stärken
29.08.2025 Region Oberfreiamt, Gesundheit«Brennpunkt Oberfreiamt» vermittelte im «Einhorn»-Saal in Sins Einblicke ins Gesundheitswesen
Themen aufgreifen, welche die Menschen in der Region bewegen – das hat sich «Brennpunkt Oberfreiamt» zum Ziel gesetzt. Der Anlass zum Thema ...
«Brennpunkt Oberfreiamt» vermittelte im «Einhorn»-Saal in Sins Einblicke ins Gesundheitswesen
Themen aufgreifen, welche die Menschen in der Region bewegen – das hat sich «Brennpunkt Oberfreiamt» zum Ziel gesetzt. Der Anlass zum Thema «Sorgenkind Gesundheitswesen» in Sins bot interessantes Hintergrundwissen und Raum für eine spannende Diskussion.
Thomas Stöckli
Die entscheidende Frage kommt nach langer Präsentation und Diskussion von Co-Organisator Günter Trost: Welche Massnahmen fänden die Referenten selber am effizientesten, damit das Gesundheitswesen in der Schweiz eben kein «Sorgenkind» mehr ist, wie es der Titel der Veranstaltung suggerierte?
Doch der Reihe nach: Mit Stephan Campi, Generalsekretär der kantonalen Gesundheitsdirektion, Thomas Ernst, Präsident des kantonalen Ärzteverbands, und Mathias Früh, Leiter Gesundheitspolitik bei der Helsana-Versicherung, ist es dem Team von «Brennpunkt Oberfreiamt» gelungen, veritable Fachleute nach Sins zu locken. Im Saal des Restaurants Einhorn bieten sie den rund 50 Interessierten Einblicke ins Gesundheitswesen.
Ein System im Umbruch
Stephan Campi zeigt auf, was alles gut läuft im Kanton Aargau, der bezüglich Gesundheitssystem gut dastehe: «30 000 Menschen engagieren sich tagtäglich mit viel Herzblut für eine hohe Qualität», betont er. Eine Qualität, die halt auch ihren Preis habe, schiebt er nach. Er zeichnet das Bild eines Gesundheitssystems im Umbruch, bezüglich Finanzierung, Digitalisierung und Förderung von ambulanten Behandlungen. Eines Systems mit hohen Kosten einerseits, aber auch mit Spitälern, die zunehmend in die roten Zahlen geraten. Mit Engpässen, insbesondere im Bereich psychische Gesundheit und in der Grundversorgung. «Wir haben die zweittiefste Dichte an Hausärzten schweizweit», hält Campi fest. Und die demografische Entwicklung legt nahe, dass der Anteil der älteren, teilweise pflegebedürftigen Generation in den nächsten Jahrzehnten markant ansteigen wird. Das stellt die Pflegeinstitutionen und Spitexorganisationen vor grosse Herausforderungen. Und mit ihnen die Gemeinden, in deren Zuständigkeitsbereich das diesbezügliche Angebot fällt.
Im Rahmen der Gesundheitspolitischen Gesamtplanung (GGpl) 2030 ist der Kanton Aargau derzeit daran, die strategische Ausrichtung des Gesundheitswesens im politischen Prozess festzuhalten. Darin enthalten sind 23 Ziele und 79 Strategien zu einzelnen Themengebieten für die kantonale Gesundheitsversorgung. «Alle wollen wir ein gutes Gesundheitssystem», hält Campi das Verbindende fest, «eines, das den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird und dem, was gut läuft, Sorge trägt.»
KI für mehr persönlichen Kontakt
Was sich aus dem Referat von Campi erschliessen lässt, bringt Thomas Ernst auf den Punkt: «Das System ist ungeheuer komplex», sagt er und verweist an die Vielzahl an Involvierten und Regulatorien. Entsprechend müsse man die Flughöhe komplett wechseln, um einen Überblick zu erhalten. Und bei den ganzen Herausforderungen wie Demografie, Kosten und Fachkräftemangel die Chancen nicht aus den Augen verlieren. Als solche nennt er unter anderem die digitale Transformation, künstliche Intelligenz, umfangreichere Informationsflüsse und neue Versorgungsmodelle, die teilweise durch die Digitalisierung erst ermöglicht werden. Wobei KI den persönlichen Kontakt nicht ersetzen, sondern im Gegenteil den Mitarbeitenden ermöglichen soll, wieder mehr ans Patientenbett zu kommen, veranschaulicht er.
Grosses Potenzial sieht der Präsident des Aargauischen Ärzteverbands darüber hinaus in der Prävention. Gerade wenn es darum geht, die zunehmenden «Wohlstandserkrankungen» in den Griff zu bekommen. Dazu gehören etwa Altersdiabetes, Bluthochdruck und Übergewicht, also Erkrankungen, die sich durch einen gesünderen Lebenswandel bezüglich Ernährung und Bewegung reduzieren liessen.
Teure Medikamente und Fehlanreize
An Mathias Früh war es dann, die Kosten-Perspektive zu vertiefen. Wobei «vertiefen» irreführend ist, kennt die Preisentwicklung doch in den letzten Jahren und Jahrzehnten nur eine Richtung: nach oben. An den Krankenkassen liege das nicht, beeilte er sich festzuhalten: Die Verwaltung der Versicherer mache im ganzen System gerade mal fünf Prozent der Kosten aus. Bei den Medikamenten sind es 21 Prozent. Dafür hat Früh zwei Gründe ausgemacht: Einerseits seien da immer mehr Leute, die immer mehr Medikamente beziehen, andererseits seien auch die Preise extrem gestiegen. Er veranschaulicht das am Durchschnittspreis von innovativen Medikamenten, die neu auf den Markt kommen. Innert zehn Jahren sei der von 820 auf 1500 Franken angestiegen. Hier gilt es, Auswüchse zu verhindern, ohne damit das Innovationsbestreben abzuwürgen.
«Wir müssen haushälterisch mit den Mitteln umgehen», fordert der Leiter Gesundheitspolitik bei Helsana. Will heissen? Informationen besser austauschen und damit auch Ineffizienzen und Doppelspurigkeiten im System gezielt eliminieren. Alternative Versicherungsmodelle können da ihren Beitrag leisten, diese sollen deshalb nicht mehr als «Rabatt» angeschaut werden, sondern als Mehrwert. Und schliesslich gelte es, ambulante Behandlungen zu fördern. Die Ambulantisierung hilft Kosten zu senken. Derzeit ist das für die Prämienzahler allerdings noch nicht spürbar, da der Kanton nur die stationären Kosten mitfinanziert. «Das ist unfair», gibt Thomas Ernst einer Votantin recht. Dieser Fehlanreiz wird nun allerdings durch die Einheitliche Finanzierung (EFAS) behoben. Dadurch dürfte es auch bei den Krankenkassenprämien zur lange ersehnten Trendwende kommen – zumindest vorübergehend.
Grundversorgung, Prävention und Ambulantisierung
Um auf die eingangs erwähnte Frage zurückzukommen: Welche Ansätze halten denn nun die Referenten für die erfolgversprechendsten? «Eine starke Grundversorgung ist der Schlüssel», findet der Ärzteverbands-Präsident. Der Generalsekretär der Gesundheitsdirektion spricht sich für eine konsequenten Umsetzung der Ambulantisierung aus. Und der Krankenkassen-Experte? «Leute gesund behalten ist viel günstiger als Leute heilen», spricht sich Mathias Früh für einen Ausbau der Prävention aus.
Die Diskussion lieferte spannende neue Perspektiven für die offenen Fragen. Dass sie keine abschliessende Lösung liefern konnte, versteht sich von selbst. «Wir haben ein sehr gutes Gesundheitswesen», fasst Moderator Alexander Eigensatz nach der spannenden Diskussion zusammen. «Das ist nicht selbstverständlich – und das kostet halt auch etwas.»