Tierisch starkes Spiel

  12.10.2021 Sport

Fussball, 2. Liga: FC Wohlen II – FC Sarmenstorf 1:1 (0:1)

Fussballherz – was willst du mehr? Dieses Freiämter Derby bot alles, was diesen Sport so einzigartig macht. Leader Sarmenstorf machte Dampf, die jungen Wohler hielten mit aller Macht dagegen. Und am Ende waren irgendwie alle glücklich.

Stefan Sprenger

«Dieses Spiel dürfte ruhig noch in die Verlängerung gehen», meint ein Zuschauer in der Schlussphase. Der FC Wohlen II und der FC Sarmenstorf bieten den Fans besten Fussball. Totaler Einsatz, aufopferungsvoller Kampf, Fussball-Leidenschaft, viele Torchancen, faire Emotionen. Es macht einfach Spass, diesen beiden Teams zuzusehen. Für diese 90 Minuten hätte man auch gerne den doppelten Eintrittspreis bezahlt. Übrigens: Wie viele Fans nun dabei waren, liegt im Auge des Betrachters. Der FC Wohlen meldet 150, der FC Sarmenstorf 550 Zuschauer. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte (350).

Lauernde Haifische

Überraschungsteam und Leader Sarmenstorf, gespickt mit Charakterköpfen, mit gestandenen Kickern, markiert von Beginn an den Chef. Wohlen-Stürmer Alessio Milazzo meint: «Die Startphase war enorm schwierig für uns. Sarmenstorf machte heftig Druck. Wir mussten viel laufen.» Doch alles Hinterherrennen nützt nichts. Nach 13 Minuten schlägt es ein. FCW-Goalie Nils Reich wird an der Strafraumgrenze unter Druck gesetzt und nimmt den Ball leicht ausserhalb des Sechzehners in die Hand. Die Folge: Gelbe Karte für den Sohn der Schweizer Bob-Legende Christian Reich und Freistoss für «Sarmi». Eine Sache für – na klar – den Freiämter Kultkicker Alain Schultz. Für den 38-Jährigen, der 17 Jahre Profifussballer war, und das hauptsächlich beim FC Wohlen (300 Spiele), sind die Niedermatten wie ein zweites Zuhause. Und das scheint den Leitwolf noch mehr zu beflügeln. Denn der Freistoss kommt perfekt vors Tor. Am zweiten Pfosten lauern mehrere Sarmenstorfer wie Haifische auf ihre Beute. Fabian Stutz ist es, der den Fisch fängt. Er hält den Kopf hin und trifft zur frühen Führung für Sarmenstorf.

In dieser Phase muss man Angst haben um die jungen Wohler. Es scheint so, als würden sie von den abgezockten Sarmenstorfern zerpflückt. Löwe Sarmenstorf hat Blut geleckt und geht auf die Jagd nach den jungen Wohler Rehen. Doch das Heimteam steht auf die Hinterbeine und hält mit aller Macht dagegen. Mit Kampf und feiner Technik überschattet es damit seine physischen Schwächen. Die Niedermatten-Kicker zeigen, dass sie kein Freiwild sind. Beeindruckend, wenn man bedenkt, dass der Grossteil der Mannschaft von Trainer Goran Kirov noch bei den A-Junioren spielen dürfte. Wohlen II erkämpft sich zur Pause eine gute Ausgleichschance, doch «Sarmi»- Goalie Silvan Sigg ist auf dem Posten. Die Sarmenstorfer haben ihrerseits die riesige Chance, auf 2:0 zu erhöhen. Doch der lässige Lupfer von Alain Schultz wird von FCW-Keeper Reich stark pariert. «Den muss ich einfach machen», so Schultz dazu.

Zubeissende Pitbulls

Pause. Durchschnaufen. Bier und Wurst holen. Die «Muff-Kurve» dreht nach Wiederanpfiff auf und will die Entscheidung für den «FCS» herbeischreien. Und die Elf von Trainer Michael Winsauer hat durch Schultz erneut eine starke Torgelegenheit. Dann folgt eine Phase, wo der kleine Pitbull Isni Zekiri dem Spiel den Stempel aufdrückt. Übermotiviert peitscht der kleinste Spieler auf dem Platz sein Team nach vorne. Und es überrascht nicht, dass es dieser Zekiri ist, der nach 51 Minuten zubeisst – und per Kopf (!) zum 1:1 trifft.

Das Spiel ist danach ein stetes Hin und Her. Es gibt Torchancen auf beiden Seiten. Mal sind die Wohler am Drücker, dann sind wieder die Sarmenstorfer im Vorteil. Mitte der zweiten Halbzeit schreckt die FCS-Bank wie von der Tarantel gestochen auf. Wohlens Aggressivleader Matija Randjelovic mäht einen Sarmenstorfer vor den Spielerbänken nieder.

Vorgezogenes Karma?

Auch wenn die Gäste vom Bühlmoos immer leicht die Oberhand haben, sind die jungen Wohler brandgefährlich mit überfallartigen Gegenstössen. So auch in der Schlussphase, als Sarmenstorf-Verteidiger Fabian Burkard alles riskieren muss, um ein Wohler Tor zu verhindern. «Ich ging in die Grätsche und wusste: Entweder ich treffe den Ball oder das Bein.» Zum Glück für ihn (und den Gegenspieler) erwischt er den Ball.

In der 90. Minute ereignet sich eine etwas unschöne Szene. Wohlens Aussenverteidiger Younes Oussadit liegt abseits des Spielgeschehens am Boden. Geplagt von Krämpfen schreit er vor sich hin. Einzig Sarmenstorf-Stürmer Fabio Huber trabt vorbei. Er hilft ihm nicht. Schade, denn es wäre sinnbildlich gewesen für ein sonst so faires Freiämter Derby.

Man kann es vorgezogenes Karma nennen, denn Sarmenstorfs Topskorer Fabio Huber (acht Saisontore) vergibt wenige Minuten zuvor eine 100-prozentige Torchance. Nach Vorarbeit von Fabian Stutz hätte er nur noch den Fuss hinhalten sollen. Doch auf dem holprigen Niedermatten-Rasen springt der Ball auf und landet Huber am Schienbeinschoner – und nicht im Tor. So steht ein 1:1 nach einem Prachts-Fussballspiel.

FCW-Stürmer Milazzo meint nach dem Schlusspfiff: «Es war hochintensiv. Beide Teams zeigten, dass sie vorne mitspielen können. Wir haben einige Grosschancen nicht gemacht. Ein Sieg für uns wäre somit verdient gewesen.» Na ja. Damit hat er unrecht. Sarmenstorf war besser und überlegener. Wohlen II hielt sackstark dagegen. Torchancen hatten beide Teams, die Sarmenstorfer aber deutlich mehr. Ein 1:1 passt am Ende: Denn diese Partie hätte keinen Verlierer verdient, sondern zwei Sieger. «Eine faire und gerechte Punkteteilung», meint Sarmenstorf-Torschütze Fabian Stutz. Der 22-jährige Sohn von «Sarmi»-Urgestein Stefan Meier fügt an: «Die Wohler sind spielerisch top und haben uns das Leben schwer gemacht. Es hat in diesem Stadion, vor dieser Kulisse und gegen diesen Gegner einfach Spass gemacht, auf dem Platz zu stehen.» Auch er wäre mit einer Verlängerung einverstanden gewesen.

Höchster Schwinger des Landes:  «Gutes und spannendes Spiel»

Eine neutrale Fanstimme kommt von Stefan Strebel. Der höchste Schwinger der Schweiz, der in Villmergen aufgewachsen ist, hat nicht nur wegen seines Sohnes Mario (früher beim FCW, heute beim GC-Nachwuchs) beste Beziehungen zum FC Wohlen – sondern ist auch ein Kumpel von Sarmenstorf-Coach Michael Winsauer. Strebel meint: «Das war einfach ein sehr gutes und spannendes Spiel. Das 1:1 ist das richtige Resultat.»

Sarmenstorf bleibt ungeschlagen an der Tabellenspitze. Wohlen hat nach den drei Startniederlagen und einer Siegesserie ebenfalls die lange Ungeschlagenheit bewahrt. Somit konnten an diesem Abend alle zufrieden nach Hause gehen. Spieler, Betreuer – und vor allem der Fussballfan, der einen tollen Abend erlebte. Während die Wohler nach Hause gehen, bestreiten die Sarmenstorfer am Oktoberfest in der «Zanzibar» noch die dritte Halbzeit. Die Elf von Winsauer muss heute Dienstag (20 Uhr, Bühlmoos) wieder im Strumpf sein. Im Achtelfinal des Aargauer Cups geht es gegen den FC Fislisbach. Und in diesem Spiel wird es am Ende ganz sicher wieder einen Sieger geben.


«Hör auf zu widersprechen»

Die unterschiedlichen Reaktionen der Trainer nach dem Derby zwischen Wohlen II und Sarmenstorf

Michael Winsauer und Schibi Roth feierten eine Rückkehr – und sind am Ende happy. FCW-Trainer Kirov spricht von «verpassten drei Punkten».

Besonders Sarmenstorfs Co-Trainer Schibi Roth ist nach Schlusspfiff glücklich, ja fast schon euphorisch. Deshalb darf das FC-Wohlen-Urgestein auch gleich (ungeschnitten) loslegen mit seinem Eindruck von diesem Derby: «Ich freue mich für jeden Fan, der heute Abend hier war. Dieses Fussballspiel hatte alles, was das Herz begehrt. Das war beste Werbung für den 2.-Liga-Fussball. Letzte Woche war ich beim Spiel der ersten Mannschaft des FC Wohlen gegen Solothurn. Ich muss sagen, diese Partie heute war einiges unterhaltsamer. Deshalb meine Empfehlung an jeden Fan: Kommt an die 2.-Liga-Spiele, am liebsten die des FC Sarmenstorf.» Schibi Roth windet auch dem Gegner ein Kränzchen: «Ich kenne zwar kaum einen Spieler, aber die haben etwas drauf. Ein starkes Team.» Der FC Sarmenstorf habe die klareren Torchancen gehabt und deshalb hätten sie sich den Sieg mehr verdient. «Aber das 1:1 passt so», meint Roth.

FC-Wohlen-II-Trainer Goran Kirov meint zum frühen 0:1: «Das war ein dummes Tor. Mein Team hat danach Charakter gezeigt und war in der zweiten Halbzeit besser als der Gegner. Wir hatten alles unter Kontrolle. Die drei Punkte hätten wir holen sollen», so Kirov, der grossen Respekt hat vor der Leistung des Leaders aus Sarmenstorf. Kirov freut sich jetzt schon auf das Rückspiel. «Ich bin zufrieden mit dem Spiel. Aber wir können es noch besser. Schauen wir im Rückspiel», sagt er. Für ihn wichtig: Der FC Wohlen II ist wieder in der Spur. Nachdem in der Sommerpause praktisch das ganze Team abgewandert und neue Spieler gekommen waren, verlor man die ersten Partien.

Kirov: «Es brauchte Zeit»

«Alles war neu. Es fehlte an vielen Dingen und brauchte etwas Zeit.» Doch jetzt sind die Wohler stark dabei und mittlerweile seit acht Spielen ungeschlagen (sechs davon wurden gewonnen). «Durch richtiges Training und klare Aufgabenverteilung haben wir diese guten Resultate gemeinsam erreicht», meint Kirov.

Zurück zum FC Sarmenstorf. Da ist auch die Meinung des früheren FCW-Profifussballers und heutigen «Sarmi»-Trainers Michael Winsauer gefragt. Für den Lehrer aus Waltenschwil war es eine Heimkehr an alte Wirkungsstätte «Ich bin wegen dem FC Wohlen vor elf Jahren in die Schweiz gekommen und bin immer noch da. Insofern wird dieser Ort hier für immer speziell bleiben.» Winsauer analysiert das Spiel nicht ganz so euphorisch wie sein Assistent Roth. «Wenn wir zur Halbzeit 2:0 führen, dann gewinnen wir. Wohlen hat es in der zweiten Halbzeit gut gemacht. Wir nehmen den Punkt mit und freuen uns, dass wir in dieser Saison weiterhin ungeschlagen sind.» Für ihn sei es schön, zu sehen, dass sich seine Spieler nerven, nur unentschieden gespielt zu haben. «Die Jungs sind ehrgeizig», so Winsauer.

«Ach komm, hör auf»

Zehn Spiele, sieben Siege, drei Unentschieden, 30 Tore gemacht, 10 kassiert. Die Bilanz der Sarmenstorfer ist sagenhaft stark. In der letzten Saison spielte dieselbe Mannschaft im unteren Mittelfeld mit, musste phasenweise um den Ligaerhalt zittern. Und jetzt rockt sie mit denselben Spielern die 2. Liga. Wie ist dieser Wandel möglich? Roth kennt die Antwort: «Zu 50 Prozent liegt es am Team. Die Spieler zeigen Einsatz, Willen und Bereitschaft. Die andere Hälfte ist Trainer Winsauer. Er macht hier einen fantastischen Job. Ich sehe das in jedem Training, in jedem Spiel.» Winsauer unterbricht ihn. «Ach komm, hör auf.» Schibi Roth spricht weiter: «Hör auf, mir zu widersprechen. Es ist so. Wir spielen fantastischen Fussball. Das liegt auch am Trainer. Winsauer ist ein Motivationskünstler und bringt vieles mit, was einen guten Trainer ausmacht. Er holt aus den Jungs das Maximum heraus.» Und diese Worte bestätigen das, was viele schon vermuten: Winsauer könnte vor einer grossen Karriere an der Seitenlinie stehen – wenn er denn will. --spr


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