Überwältigende Anteilnahme

  22.09.2020 Region Oberfreiamt

Dank Spenden kann Ava Loosli aus Besenbüren ihre Chance auf Selbstständigkeit verwirklichen

Das Schicksal der kleinen Ava Loosli bewegt. Sie hat eine mehrfache Behinderung. Eine Stammzellen-Therapie in Thailand könnte Linderung bieten. Doch diese ist sehr teuer. In wenigen Tagen sind nun viele Leute dem Spendenaufruf ihrer Eltern gefolgt. Schnell kamen 30 000 Franken zusammen.

Sabrina Salm

«Wir sind unglaublich berührt, wie viele Menschen Ava eine Chance wünschen», sagen Rebekka Loosli und Martin Zweifel mit Tränen in den Augen. Die riesige Anteilnahme an Avas Schicksal und die unglaubliche Unterstützung haben sie in den letzten Tagen stark bewegt.

Ihre Tochter Ava hat durch PVL eine tetraspastische zerebrale Bewegungsstörung mit einer zystischen periventrikulären Leukomalazie beidseits und eine starke Sehschwäche. Dies kommt von einer Sauerstoffunterversorgung, welche während der Schwangerschaft passiert ist. Sie kann aufgrund ihrer Beeinträchtigung zum Beispiel die Muskeln nicht kontrolliert steuern und dosieren. Die Krankheit ist nicht heilbar.

«Wunderschönes Gefühl»

Doch es gibt Hoffnung, dass sich der Zustand des 21 Monate alten Mädchens verbessert. «Seit einigen Monaten erkundigen wir uns über eine Stammzellen-Therapie im Ausland. Eine Klinik nimmt Ava in ihrem Programm auf», erklärt Rebekka Loosli. Da die Therapie in der Schweiz nicht anerkannt ist, wird sie auch nicht von den Kassen finanziell unterstützt. Die Therapie ohne An- und Abreise kostet 33 600 US-Dollar. Alleine hätten sie die enorme Summe nicht aufbringen können. So versuchten es Rebekka Loosli und ihr Mann über einen Spendenaufruf. «Dieser war nicht mal zehn Tage online. Und am Donnerstagnachmittag war das Spendenziel schon erreicht. Ein wunderschönes Gefühl», versucht Martin Zweifel die Freude zu beschreiben. Sie sind unbeschreiblich dankbar. Auf ihrer Facebookseite und ihrer Homepage gewährt die Familie Einblicke in ihr

Leben. Sie wollen damit aufklären und Berührungsängste mindern. «Wir tragen gerne dazu bei, aufzuklären, wie schön das Leben mit einem beeinträchtigten Kind sein kann.»


Eine Chance für Ava

Das Schicksal von Ava Loosli aus Besenbüren bewegt die Menschen – die Familie gewährt einen Einblick in ihr Leben

Ava Loosli leidet unter der seltenen Krankheit PVL. Das kleine Mädchen ist mehrfach behindert. Die weisse Substanz im Gehirn von Ava ist beschädigt. Ihre Eltern kämpfen für sie und versuchen ihr ein möglichst selbstständiges Leben zu ermöglichen.

Sabrina Salm

Die kleine Ava liegt im Wohnzimmer auf ihrer Decke. «Wir haben Besuch», erzählt ihr ihre Mutter Rebekka Loosli und streichelt der fast Zweijährigen zärtlich über die Wange. Ihre grosse Schwester Emma (5) gibt ihr eine Spielzeugrassel in die Hand. Die kleine Ava strahlt über das ganze Gesicht. Auf den ersten Blick scheint hier alles normal zu sein. Sie erweckt den Eindruck eines fröhlichen, zufriedenen Kleinkinds. Doch beim genaueren Betrachten merkt man, irgendetwas stimmt nicht. Ava kann ihre Muskeln nicht steuern. Kopfkontrolle ist sehr schwierig für sie. Sie kann sich nicht vom Rücken auf den Bauch drehen. Kein Guetzli von der Hand an den Mund führen. Auch das Kauen und Schlucken fällt ihr schwer.

Ava hat eine PVL (periventrikuläre Leukomalazie). Drei Buchstaben, die alles ändern. Ava ist mehrfach behindert. Dass die Kleine und ihre Zwillingsschwester Lia, die gerade noch schläft, überhaupt leben, grenzt an ein Wunder.

Harter Start ins Leben

Rückblende ins Jahr 2018. Rebekka Loosli und ihr Mann Martin Zweifel sind bereits stolze Eltern der kleinen Emma und von Sohnemann Jonny (heute dreieinhalb Jahre alt). Da kündigen sich Baby Nummer drei und vier an. Mutter Rebekka ist schwanger mit Zwillingen. Eine absolute Überraschung. Wegen des Alters der Mutter und der Erwartung von Zwillingen gilt die Schwangerschaft als Risikoschwangerschaft. «Es war keine leichte Schwangerschaft», erinnert sich Rebekka Loosli. Ausruhen mit zwei Kleinkindern zu Hause, schier unmöglich. Doch in der 24. Schwangerschaftswoche wurde sie durch die Umstände dazu gezwungen. Sie durfte nur noch liegen. Bis dann Rebekka Loosli ab Schwangerschaftswoche 27 ins Spital musste. «Man stellte fest, dass Lia nicht mehr so wächst, wie sie sollte», erklärt Martin Zweifel. Der errechnete Geburtstermin der eineiigen Zwillinge war der 6. März 2019. Jetzt war Anfang Dezember 2018. Mit einer möglichen Frühgeburt waren Looslis nun konfrontiert. «Wir wurden vom Spitalpersonal gut über die möglichen Szenarien aufgeklärt. Doch was dies wirklich bedeutet, dessen waren wir uns nicht bewusst.» Eine anstrengende Zeit beginnt, die mit vielen Ängsten und Sorgen verbunden war. «Und Schuldgefühlen», gibt Rebekka Loosli zu. Schuldgefühlen ihren Kindern zu Hause gegenüber. «Auf Knall und Fall war die Mami weg.» Emotionale, psychische und physische Erholung vor einer Geburt sieht anders aus. Eine Erholung, die so gut getan hätte, wenn man weiss, was noch alles auf die Familie Loosli-Zweifel zukommt.

Zurück in der Stube der Familie. Die älteren Kinder blättern gerade das Fotoalbum der Zwillinge durch und zeigen es dem Besuch. «Das ist Lia», sagt Jonny und deutet auf das kleine Baby. «Und das ist Ava», ergänzt seine Schwester Emma und zeigt auf ein anderes Foto. Die Bilder zeigen wunderschöne Babys, die jedoch versteckt hinter Beatmungsmasken sind. Die vielen Schläuche an ihren winzigen Körpern brechen einem schier das Herz und automatisch bildet sich ein Kloss im Hals.

Das letzte Viertel im Mutterleib fehlt

Am 20. Dezember 2018 erblicken Ava und Lia in Aarau per Kaiserschnitt das Licht der Welt. Zuerst wird Ava mit 1050 g aus dem Bauch der Mutter geholt. «Den Augenblick habe ich als sehr freudig empfunden», erinnert sich Rebekka Loosli. «Ich sah Ava und sagte: Wow, ist sie klein. Der Arzt meinte nur: Sie ist die Grosse von den beiden.» Lia wog nur 720 g. «Anfangs machten wir uns mehr Sorgen um Lia», erzählt Martin Zweifel. Beide Kinder brauchten Beatmungshilfe und mussten auf der Neonatologie in die Isolette. Plötzlich verschlechterte sich der Zustand von Ava. Sie hatte einen Pneumothorax und wurde sofort operiert. Kurz danach wurde ein Schädelultraschall gemacht. Da fanden die Ärzte heraus, dass da in Avas Kopf ein Löchlein war. «Wie gross der Schaden ist, konnte uns niemand sagen», erzählt der Vierfachpapa. «Es war der Horror.»

Die Diagnose veränderte das Leben der Familie Loosli. Ava hat PVL, woraus sich eine tetraspastische zerebrale Bewegungsstörung mit einer zystischen periventrikulären Leukomalazie beidseits und eine starke Sehschwäche gebildet hat. «Alles Schlimme, was man von dieser Krankheit haben kann, hat Ava», bringt es Rebekka Loosli auf den Punkt. Die Therapie von Ava bezweckt, dass es nicht schlimmer wird und dass es erträglich für sie ist. Ava bekommt täglich Physiotherapie und Low-Vision-Therapie (für die Augen). Eine Logopädin und eine Heilpädagogin arbeiten mit ihr. Da Ava nicht gerne Auto fährt, wird alles wenn möglich zu Hause gemacht. Die Therapien für Ava sowie die Bedürfnisse der anderen Kinder bedingen eine grosse Organisation. «Manchmal hadere ich schon mit dem Universum», gesteht Rebekka Loosli. Aufgeben kommt für sie aber nicht infrage.

Keine Chance auf Besserung verpassen

Ava liebt Spaghetti Bolognese, Apfelmus, das Draussensein mit ihrer Familie – besonders wenn sie die Vögel zwitschern hört. Und ganz besonders liebt sie ihren Kater Diego. Sie wird in den Familienalltag eingebunden. Ist dabei, wenn ihre Geschwister im Sandkasten «dräcklen» oder sonst spielen.

Lia ist in der Zwischenzeit aufgewacht und hat sich zu ihrer Familie in den Wohnbereich gesellt. Sie spielt etwas mit dem blinkenden Peppa-Pig-Ball. Dann weint sie. Martin Zweifel nimmt sie auf den Arm und sie vergräbt ihr Gesicht in Papas Hals. «Sie zahnt», erklärt Mutter Rebekka. Lia sei zurzeit jene, die Avas Wünsche am besten erkennt. «Sie ist unsere kleine Dolmetscherin und weist mich dann darauf hin, dass Ava lieber den Schoppen möchte als den Nuggi.»

Sie sollen doch das Schicksal der kleinen Ava einfach akzeptieren. Solche Sätze hört die Familie immer wieder. «Wenn es irgendetwas gibt auf der Welt, das die Situation verbessert, möchten wir das probieren», sagt Rebekka Loosli mit gebrochener Stimme. Ava quietscht vergnügt und lacht ihre Mutter an. Ihr Gehör ist sehr fein. «Unser Traum für Ava ist es, dass sie zum Beispiel selber essen kann.» Eben ein möglichst unabhängiges und selbstständiges Leben für Ava. «Deshalb möchten wir keine Chance auslassen.» Sie sind sich bewusst, dass die Stammzellentherapie Ava nicht vollends gesund machen kann.

Hoffnung auf die Stammzellentherapie

Bei ihren Recherchen sind Rebekka Loosli und Martin Zweifel auf die Stammzellentherapie gestossen. «Es klingt sehr vielversprechend», sagen sie. In der Schweiz steckt diese Therapie noch in den Kinderschuhen und ist umstritten. In Thailand haben die Looslis nun ein Stammzellen- und Forschungsinstitut gefunden, welches Ava in ihr Programm aufnimmt. Die Therapie wird finanziell in der Schweiz nicht unterstützt. Das Geld für Avas Therapiekosten haben sie dank Spenden zusammenbekommen (siehe Kasten oben). Risikoeinschätzungen von Ärzten hierzulande erhalten sie keine. Niemand möchte sich aus dem Fenster lehnen. So machten sie selber Forschungen und tauschen sich mit verschiedenen Familien mit ähnlichen Erfahrungen auf der ganzen Welt aus.

Die Coronapandemie erschwert nun die Reise nach Thailand. Die Klinik ist noch nicht wiedergeöffnet. Ausserdem müssten Ava und Rebekka in Quarantäne. «Dies wäre sehr umständlich für uns. Auch wegen der Organisation rund um die anderen Kinder.» Deshalb warten sie, bis es wieder möglich ist – also sobald Thailand quarantänefreies Einreisen erlaubt. «Je jünger der Patient ist, desto vielversprechender die Therapie.»

Geben sich gegenseitig Halt

Rebekka Loosli und Martin Zweifel sind seit 14 Jahren ein Paar. «Wir ergänzen uns gut», sagt Rebekka und schaut ihren Mann liebevoll an. Seit acht Jahren leben sie in Besenbüren. «Wir suchten ein gutes Zuhause für die Familiengründung», sagen sie. Im Freiämter Dorf haben sie sich gleich von Anfang an wohlgefühlt. Die Anteilnahme für das Schicksal von Ava und ihrer Familie im Dorf ist gross. «Wir erfahren riesige Unterstützung von den Besenbürern. Nicht nur finanzielle. Das ist nicht selbstverständlich. Dafür sind wir sehr dankbar», sagt das Paar. Klar seien sie oftmals körperlich und seelisch am Anschlag. Man funktioniere halt einfach, sagen die beiden. Aber es ist mehr als das. Das Paar versucht immer, das Positive zu sehen, und diese Energie spürt man von der ganzen Familie. «Der Tag wird sehr lang, wenn man schon morgens jammert», lacht Rebekka Loosli. «Wir haben ein schönes Leben, sind glücklich und gesund.» Sie hätten gelernt, zufrieden zu sein. Kraft und Hoffnung schöpfen sie von der Unterstützung von Verwandten und Bekannten und von ihrem Zuhause. «Doch die grösste Kraft schenken uns unsere Kinder.»


Grosse Anteilnahme

31 000 Franken waren das erklärte Spendenziel, das nach nicht einmal zehn Tagen auf Facebook am Donnerstagnachmittag schon erreicht war. «Die riesige Anteilnahme an Avas Schicksal und die unglaubliche Unterstützung haben uns in den letzten Tagen stark bewegt», sagt die Familie. Mit ihrer Homepage und der Facebookseite über das Leben von Ava möchten Rebekka Loosli und Martin Zweifel aufklären und Mut machen. «Aber auch Berührungsängste mindern», sagt Rebekka Loosli.

Mit dem Erreichen des Spendenziels endet «Eine Chance für Ava» nicht. Es gebe immer noch Leute, die spenden. Viele Leute werden auch kreativ und versteigern beispielsweise auch Bilder für Ava. Es gibt noch viele Herausforderungen, die die Familie in Zukunft meistern muss. Das Haus muss behindertengerecht umgebaut werden. Die Hilfsmittel, die Ava für ihre Therapien benötigt, sind oftmals sehr kostspielig. Wer Ava auch in Zukunft finanziell unterstützen möchte, darf das gerne tun. --sab

Weitere Infos: https://fürava.ch/


Was ist PVL?

Unter einer periventrikulären Leukomalazie (PVL) wird in der Medizin eine der häufigsten durch erheblichen Sauerstoffmangel verursachten Schädigungen der weissen Substanz im Gehirn verstanden. Die PVL tritt besonders häufig bei frühgeborenen Kindern im Säuglingsalter auf. In der weissen Substanz liegen motorische Nervenfasern, durch die Willkürbewegungen möglich sind. Aufgrund der Schädigung in diesem Bereich durch die periventrikuläre Leukomalazie entstehen Zysten in den sensiblen Hirnregionen. Es kommt dadurch bei den Kindern zu unterschiedlich starken Ausfällen motorischer Funktionen, die von der Ausprägung der Veränderungen abhängig sind. --red


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