Ungewollt im Rampenlicht

  15.12.2020 Sport

Martin Rueda (Ex-Wohlen) übernimmt bis zum Winter Neuchâtel Xamax und ist aus dem Freiamt weggezogen

Mit dem Profifussball hat er eigentlich abgeschlossen. Jetzt übernimmt Martin Rueda Neuchâtel Xamax und macht dem Clubbesitzer einen Gefallen. Das Engagement soll nur für die letzten Spiele sein, danach will sich der 57-Jährige wieder seiner Aufgabe beim Xamax-Nachwuchs widmen.

Stefan Sprenger

0:4 gegen den FC Winterthur. Es war die siebte Pleite in Serie für Neuchâtel Xamax. Nach zwölf Spielen stehen die Westschweizer auf dem vorletzten Tabellenplatz der Challenge League. Xamax reagiert und wirft Trainer Stéphane Henchoz raus. «Es ist immer schade, wenn solche Dinge passieren. Es tut mit leid für Stéphane Henchoz», sagt Martin Rueda. Es sind genau jene Dinge, die er am Profifussball so gar nicht vermisst und wieso er dem Business etwas den Rücken gekehrt hat.

Unsicher, ob er es tun soll

Rueda selbst erlebte in seiner Karriere oft solche Momente. «Der tiefste Tiefpunkt», wie er in einem Interview mit dieser Zeitung im Frühling 2020 sagt, war bei seiner letzten Trainerstation. 2016: Dubiose türkische Investoren sorgten dafür, dass der FC Wil sich in seine Einzelteile auflöste. Im September 2016 erkauften sie Rueda vom FC Wohlen, wollten mit ihm in die Super League aufsteigen. Im Dezember wird er entlassen. Die Löhne werden nicht gezahlt, Punkteabzug, drohende Insolvenz. Der Verein stand am Abgrund. «Das alles mitzuerleben, hat mir zugesetzt», sagt er. Der sensible Rueda hatte danach die Schnauze voll vom Fussball und sagte beispielsweise: «Ganz ehrlich, ich weiss es nicht, ob ich nochmals als Trainer tätig sein will.»

Am vergangenen Freitag rief ihn Xamax-Besitzer Jean-François Collet an. Rueda soll das Team übernehmen. Zuerst war er sich nicht sicher, sagte dann aber zu. Auch als Gefallen für Collet. Die beiden kennen sich schon lange, waren beide gleichzeitig für Lausanne tätig. Rueda als Trainer, Collet als Präsident. «Aus Dankbarkeit ihm gegenüber werde ich das Team in den letzten drei Spielen führen. Ich werde versuchen zu helfen», so Rueda. Er übernimmt interimistisch. Ab dem 23. Dezember wird er in seine bisherige Funktion in der Nachwuchs-Academy der Neuenburger zurückkehren.

Kultstatus in Wohlen

Erstmals seit 2016 ist er wieder als Trainer tätig – und steht damit nochmals im Rampenlicht. «Die Aufmerksamkeit habe ich nicht vermisst. Aber der Chef eines Teams zu sein schon – ein bisschen», sagt er. Nach vier Jahren wieder auf dem Rasen zu stehen und ein Profiteam zu trainieren, sei ein spezielles Gefühl. «Schön», meint er.

Rueda weiss natürlich, wie es geht. Sein fussballerischer Leistungsausweis ist beachtlich. Als Profispieler kickte er für GC, Wettingen, Luzern und Xamax. Der Abwehrspieler war zudem in der Nationalmannschaft und an der Weltmeisterschaft 1994 im Kader. Und auch als Trainer hat er einen langen Palmares. Winterthur, Aarau, GC-Nachwuchs, Young Boys, Dubai, Wil und Lausanne. Und immer wieder der FC Wohlen. Martin Rueda war in den letzten 20 Jahren viermal Trainer des FC Wohlen. «Mein Herzensverein», sagt er. Der Aufstiegstrainer von 2002 und Erfolgscoach aus der glorreichen Saison 2007/08 geniesst in Wohlen Kultstatus. Nach wie vor ist er sehr gut mit dem früheren FCW-Präsidenten Andy Wyder befreundet. «Freunde werden wir auch für immer bleiben», wie Rueda meint.

Von Villmergen nach Oberwil-Lieli nach Murten

Rueda wird ein Freiämter. Als 2015 Ciriaco Sforza geht, übernimmt er wieder einmal den FC Wohlen – und zügelt nach Villmergen. Dort bleibt er bis zum Frühling diesen Jahres und zieht dann nach Oberwil-Lieli, um näher an seinem Arbeitsplatz in Adliswil zu sein, wo er als Teamleiter für Gebrauchtwagen tätig war. Nachdem er den Job als technischer Leiter des Xamax-Nachwuchses erhält, zügelt er schon wieder. Nach Murten. Trotzdem: «Das Freiamt ist meine zweite Heimat. Wohlen ist für immer in meinem Herzen», sagt er.

Beim Nachwuchs etwas Nachhaltiges aufbauen

Rueda ist happy mit seinem Job als technischer Leiter der Xamax-Akademie. Er ist der Kopf des Nachwuchsprojekts und trägt die (Mit-)Verantwortung für insgesamt 23 Mannschaften – darunter auch die einiger Partnervereine. «Es ist ein langfristiges Projekt für junge Spieler. Wir versuchen hier etwas Nachhaltiges aufzubauen.» Und das sei nicht so kurzfristig wie das Profi-Business. Also genau das, was Rueda wollte. Aus dem Rampenlicht, mit jungen Spielern und etwas Nachhaltiges aufbauen.

Jetzt muss er trotzdem nochmals als Profitrainer ran. «Ich habe nicht auf den Job spekuliert oder mich eingemischt. Ich übernehme das Team für drei Spiele, und es gibt keine Option für mehr», so Rueda deutlich. Seine Missionen: In den letzten drei Spielen bis Weihnachten Xamax Neuchâtel wieder auf Kurs zu bringen. Er weiss auch schon, wo er dafür ansetzen muss. «Das Team braucht Selbstvertrauen, das muss ich ihnen jetzt einimpfen. Die Spieler haben viel Qualität, brauchen aber Vertrauen.» Neuchâtel Xamax hat ein mentales Problem, kein spielerisches. «Wir müssen wieder an uns und unsere Fähigkeiten glauben», so Rueda.

In Wohlen wird seine sanftmütige, faire und umgängliche Art enorm geschätzt. Diese Charakterzüge hat er auch im Profibusiness immer behalten. Für ihn bleibt zu hoffen, dass er bis Weihnachten die nötigen Punkte holt mit Xamax und dann zurück in seinen Job beim Nachwuchs kann. Denn das macht ihn glücklich. Was ist eigentlich nach dieser Aufgabe als technischer Leiter? Rueda: «Mal schauen, zurück ins Freiamt ist immer eine Option.»


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