Viel Geschichte, unsichere Zukunft
22.09.2023 Region OberfreiamtDer Kirchenmusikverband Oberfreiamt feiert übermorgen Sonntag den 150. Geburtstag
Neun Chöre zählt der Kirchenmusikverband Oberfreiamt – weniger als auch schon. Präsident Walter Hess blickt nicht voller Optimismus in die Zukunft. Gefeiert wird ...
Der Kirchenmusikverband Oberfreiamt feiert übermorgen Sonntag den 150. Geburtstag
Neun Chöre zählt der Kirchenmusikverband Oberfreiamt – weniger als auch schon. Präsident Walter Hess blickt nicht voller Optimismus in die Zukunft. Gefeiert wird das Jubiläum trotzdem, mit einem musikalischen Rückblick auf die letzten 25 Jahre am Sonntag, 10.30 Uhr, in der Pfarrkirche Merenschwand.
Annemarie Keusch
Walter Hess hat die nicht ganz einfache Entwicklung in den Kirchenchören selbst erfahren. Er gehörte viele Jahre dem Chor in Bünzen an. Neben Abtwil, Beinwil und Bettwil gehört der Bünzer Kirchenchor zu jenen, die in den letzten Jahren aufgelöst wurden. Der Grund war überall derselbe: mangelnde Mitgliederzahl. Aber Hess singt weiter, mittlerweile im Kirchenchor Boswil. «Mir gefällt das Singen, das Miteinander, darum war für mich klar, dass ich weitermache», sagt er. Schon als Jugendlicher habe er die Musik für sich entdeckt, spielte in einem Corps in Luzern. «Während ich im Ausland arbeitete, hatte ich zu wenig Zeit für ein solches Hobby», sagt er. Als er aber mit seiner Frau zufällig in Bünzen wohnhaft wurde, schaute er sich nach neuen Möglichkeiten für sein Hobby um. «Natürlich war die Musikgesellschaft auch ein Thema, aber weil ich Klarinette spielte und es in Bünzen schon damals eine Brass Band war, ohne Holzblasinstrumente, kam dies für mich nicht infrage.» Stattdessen fragte ihn der Nachbar, ob er nicht im Kirchenchor singen wolle. Walter Hess wollte.
Mittlerweile sind rund 40 Jahre vergangen, Hess ist immer noch treuer Sänger, engagiert sich für den Verband, ist seit 2014 Präsident des Kirchenmusikverbands Oberfreiamt, war zehn Jahre Aktuar des kantonalen Verbandes. «Es macht Spass, sich für die Chöre in der Region zu engagieren.» Der Verband bringt die verschiedenen Vereine zusammen, organisiert alternierend eine Mitgliederversammlung, eine Weiterbildung oder ein Verbandsfest. «Der Austausch untereinander tut gut», sagt Walter Hess. «Solange die Chöre das wünschen, gibt es den Verband auch.» Mittlerweile ist jener im Oberfreiamt der letzte überlebende von ursprünglich sieben Regionalverbänden im Aargau.
Er hofft, sich zu täuschen
Es ist einer der Hinweise, die darauf schliessen lassen, dass die Kirchenchöre ganz allgemein schon bessere Zeiten erlebten. «Unsere Entwicklung ist stark mit jener der katholischen Kirche verbunden und diese durchlebt aktuell keine einfache Zeit», sagt Walter Hess. Dass böse Zungen behaupten, Kirchenchöre seien ein Auslaufmodell, das lässt er aber nicht gelten. «Gesungen wird nach wie vor. Wir sehen, dass Projektchöre durchaus Zulauf haben, immer weniger Leute wollen sich aber einem Verein gegenüber verpflichten.» Es sind Entwicklungen, die nicht nur Kirchenchöre erfahren. Diese nicht nur wegen der aktuellsten Schlagzeilen rund um die katholische Kirche, aber vielleicht noch etwas mehr. Dabei betont Hess: «Es muss niemand zutiefst gläubig sein oder jedes Wochenende eine Messe besuchen, um Teil eines Kirchenchors zu sein.» Die Freude am Singen, an Harmonien, am Miteinander stehe im Vordergrund. «Mir persönlich sagt das auch mehr als beispielsweise die kirchlichen Inhalte.» Und doch, die Auftritte in den Messen sind auch für ihn das Highlight, auch wenn es immer weniger werden. «Um mitzugestalten und den Leuten Freude zu bereiten, dafür proben wir, das macht Spass.»
Walter Hess wählt klare Worte, keine, die die aktuelle Situation beschönigen. «Ich bin nicht optimistisch, was die Zukunft betrifft», sagt er. In den letzten 15 Jahren gaben vier Kirchenchöre den Betrieb auf, neun verbleiben. Die Pandemie sorgte dafür, dass die Zahl der Mitglieder im ganzen Bistum um zehn Prozent retourging. Und Hess weiss aus den Reihen des Boswiler Kirchenchors: «Junge Leute zu finden, die mitmachen und mitsingen, ist nicht einfach.» Mit ihren rund 30 Mitgliedern sind die Chöre von Sins und Boswil noch die stärksten im Bezirk. Aufgeben, das will Hess deswegen aber noch lange nicht. «Natürlich hoffe ich, dass ich mich mit meinen Befürchtungen täusche.» Und wenn nicht? Walter Hess denkt nach, auch weil er weiss, dass diese Meinung nicht alle innerhalb der Kirchenchöre teilen. «Vielleicht bräuchte es Fusionen, aber noch ist die Zeit nicht reif dafür», sagt er.
Der Langjährigste singt seit 69 Jahren
Der fehlende Nachwuchs, die Suche nach neuen Sängerinnen und Sängern – es ist ein Thema, das in allen Kirchenchören der Region die ganz grosse Herausforderung ist. Auch darüber tauschen sich die neun verbliebenen Chöre im Verband aus. Dieser organisiert beispielsweise eine Weiterbildung zum Thema Marketing. «Wir geben alles», sagt Hess. Auch weil er überzeugt ist, dass Singen etwas Positives, etwas Sinnstiftendes, etwas Befriedigendes ist. «Die lokale Verwurzelung ist zudem eine ideale Möglichkeit, sich in einem Dorf zu integrieren. Das habe ich selbst erlebt», sagt er. Singen – es tue der Seele, der Gesundheit gut, lasse Freundschaften entstehen.
Und das seit vielen Jahren. Alleine seit 150 Jahren gibt es den Kirchenmusikverband Oberfreiamt, der bis vor gut zehn Jahren Kreiscäcilienverband hiess. Die grosse Feier steigt übermorgen Sonntag, 10.30 Uhr, in der Merenschwander Pfarrkirche. Dabei spannen die neun Kirchenchöre zusammen, tauchen musikalisch in das Repertoire der letzten 25 Jahre ein, präsentieren aber auch eine Uraufführung: zwei Kompositionen von Christoph Meierhofer – der Kehrvers «Der Herr ist nahe allen» und die Psalmodie zum Psalm 145 «Allmächtiger Gott». Die musikalische Leitung liegt dabei bei Verbandsdirektor Flavio Dora. Das Jubiläum wird durch den Kirchenchor Merenschwand organisiert, deren Präsidentin, Verena Suter, ebenfalls im Vorstand des Kirchenmusikverbands Oberfreiamt dabei ist.
Walter Hess freut sich darauf. Besonders auch auf die Ehrungen, wer 25 Jahre, 40 oder 50 Jahre in einem Chor mitsingt, wird geehrt. Und das sind einige. Sängerinnen und Sänger der Kirchenchöre scheinen treu zu sein. Drei sind gar 60 und mehr Jahre dabei: Gerold Hänggi (60 Jahre, Kirchenchor Boswil), Cécile Cannone (62 Jahre, Kirchenchor Merenschwand) und Franz Widmer (69 Jahre, Kirchenchor Dietwil). Allein schon ihretwegen kämpfen Hess und ganz viele weitere Engagierte rund um die Kirchenchöre im Oberfreiamt dafür, dass die Geschichte der Vereine weitergeschrieben werden kann.