Von aufrüttelnd bis heilsam
19.08.2025 Muri, KulturBedrückt und beschwingt
Vielfalt Ostafrikas am Themenabend in Muri
Einerseits Krieg, Gräueltaten und Verfolgung, andererseits Tanz, Kulinarik und Lebensfreude pur. Der Interkulturelle Anlass im reformierten Kirchgemeindesaal Muri schaffte es, ...
Bedrückt und beschwingt
Vielfalt Ostafrikas am Themenabend in Muri
Einerseits Krieg, Gräueltaten und Verfolgung, andererseits Tanz, Kulinarik und Lebensfreude pur. Der Interkulturelle Anlass im reformierten Kirchgemeindesaal Muri schaffte es, Extreme zu vereinen. Gebannt lauschten die Interessierten den Erzählungen von Samuel Mazibo aus Kongo, von Sara Mohammed aus dem Sudan und von Justin Bigirimana aus Burundi, die ihre Heimat verlassen mussten und sich nun in der Schweiz einbringen wollen. Tanz und Theater rundeten einen eindrücklichen Abend ab. --tst
Interkultureller Abend hat die Vielfalt Ostafrikas aufgezeigt – und seine Schattenseiten
Bewegend war er – in doppeltem Wortsinn – der Anlass im reformierten Kirchgemeindesaal. Einerseits die berührenden Schilderungen von Krieg, Verfolgung und Flucht, andererseits wurde auch intensiv getanzt. Zwei Extreme, die gleichermassen für Ostafrika stehen.
Thomas Stöckli
Moderator Oliver Abo el Fateh spricht von atemberaubender Naturschönheit und von kultureller Vielfalt, als er die acht Länder umfassende ostafrikanische Gemeinschaft vorstellt. Das ist allerdings nur die eine Seite der Medaille. Die Kolonialisierung und das willkürliche Ziehen von Grenzen ohne Berücksichtigung der ethnischen Gruppen prägen die Region noch heute. Das Resultat sind bewaffnete Konflikte, teils geführt von Söldnern und Kindersoldaten, aber auch Genozide, wie jener von 1994 in Ruanda.
Einer Zukunft beraubt
Diese unsichere Region war Thema am interkulturellen Begegnungsanlass im reformierten Kirchgemeindesaal Muri. Stanislas Mazibo Samuel, Menschenrechtsverteidiger aus der demokratischen Republik Kongo, schilderte eindrücklich die seit 30 Jahren andauernden bewaffneten Konflikte in einem Land, das entgegen seines Namens wenig mit Republik und kaum etwas mit Demokratie zu tun hat. «Die Leute fliehen nicht, weil sie versagt haben», hält er unmissverständlich fest, «sondern weil ihnen die Zukunft genommen wurde.»
«Bei uns ist das Hauptproblem ein anderes», so Justin Bigrimana, Agronom und Umweltschützer aus Burundi. Er spricht von Diskriminierung und Machtmissbrauch der Regierungspartei gegenüber der Opposition, der er selbst angehört. «Demokratie existiert leider nicht mehr», hält er fest und deutet Wahlbetrug an, ohne den Vorwurf direkt auszusprechen. «Die Bevölkerung lebt in Angst.» Kritiker der «Einheitspartei» werden inhaftiert und hingerichtet. Oder sie flüchten wie er ins Exil.
Kennengelernt haben sich die beiden Männer in der Schweiz. Mittlerweile bewohnen sie gemeinsam mit zehn anderen eine Wohnung in einer Aargauer Gemeinde. Zwölf Menschen, die sich eine einzige Toilette teilen. Einerseits sind sie froh, hier ihres Lebens sicher zu sein, andererseits setzt ihnen die Ungewissheit zu, dass sich das plötzlich ändern könnte. Auf einen Asylentscheid warten sie seit über zwei Jahren. Zur Untätigkeit verdammt. Denn arbeiten dürfen sie nicht. Entsprechend appellieren sie an Politik und Zivilgesellschaft, Geflüchtete nicht nur als Schutzsuchende und Belastung anzusehen, sondern als Menschen mit wertvollen Kompetenzen.
Bedürfnis, sich einzubringen
«Ich will etwas zur Entwicklung dieser Gesellschaft beitragen», betont auch Sara Mohammed. Die Frauenrechtsverteidigerin musste aus dem Sudan flüchten und ihre Familie zurücklassen. Sie lebt derzeit in Muri und erlebt am eigenen Leib, wie langsam und kompliziert das hiesige Asylsystem funktioniert. Wie empathielos alles wirkt und wie die Ungewissheit, wie es weitergeht, einem zusetzt. «Für meinen Heilungsprozess ist das sehr schwierig», sagt sie. «Es ist nicht immer schön, wie man uns behandelt», bestätigt Justin Bigrimana. «Aber ich habe auch viel von der Schweizer Gesellschaft bekommen», fügt er an. Umso wichtiger ist es ihm, etwas zurückgeben zu können. «Viele Geflüchtete haben wertvolle Kompetenzen», sagt er. «Um uns nützlich zu machen und in Würde leben zu können, brauchen wir die Unterstützung der Behörden und der Gemeinschaft. Dass dies kein leeres Lippenbekenntnis ist, hat er schon bewiesen, indem er seit über einem Jahr täglich mit der Organisation Creanatira bei der Bekämpfung von invasiven Neophyten mit anpackt. Seit Kurzem arbeitet auch Samuel dort mit.
Nicht noch mehr Bürokratie
Begegnungen mit Geflüchteten aus Ostafrika hätten ihr gezeigt, dass Offenheit immer auf beiden Seiten entsteht, sagt Marianne Kürsteiner, Initiantin des Abends. Die Kirchenpflegerin und SP-Bezirkspräsidentin ruft denn auch dazu auf, sich für die Asylsuchenden einzusetzen. Etwa, dass deren Alltag nicht durch bürokratische Hürden weiter erschwert werde. So wies sie auf die Kundgebung vom 26. August um 9.30 Uhr hin, die sich gegen die Einführung von personalisierten Bezahlkarten richte. Damit werde etwa der Einkauf im Brocki verunmöglicht.
Es ist schwere Kost, die dem Publikum am dreisprachigen Podium im vollen Kirchgemeindesaal geboten wird. Die Zuhörenden sind sichtlich betroffen. «Ich bin sprachlos», hält einer fest, offenbar stellvertretend für viele. Die Fragerunde kommt jedenfalls nur schleppend in Gang.
Lebensfreude zum Abschluss
Umso intensiver wurde anschliessend an den Tischen diskutiert. Zum Stimmungswechsel trugen die burundischen Speisen bei – von einem Zweierteam komplett vor Ort frisch zubereitet, das mit der Bahn angereist war, alle Zutaten in Muri zu Fuss eingekauft und zum Saal geschleppt hatte. «Es reichte mühelos für über 70 Personen», so Marianne Kürsteiner, «und es gab grossen Applaus für die Köche.»
Beim kulturellen Teil des Abends kam dann sogar noch richtig Feststimmung auf: Eine junge Tanzgruppe mit burundischem Hintergrund – aus verschiedenen Orten der Schweiz – hat den farbigsten Teil des Abends gestaltet: erst ein kurzes Theaterstück, danach rund sechs Tänze, «auf hohem Niveau», wie die Initiantin des Anlasses festhält, «voller Lebensfreude.» Zum Schluss holten die Tänzerinnen und Tänzer das Publikum auf die Bühne. «Die Stimmung war ausgelassen, fröhlich, beinahe heilsam», so Marianne Kürsteiner. «Viele Geflüchtete konnten ihr Schicksal für einen Moment vergessen.» Und manchen Murianern dürfte der Anlass die Augen geöffnet haben.