Von Chläusen und Reussträumen
10.12.2024 BremgartenBremgarter Neujahrsblätter 2025 gewohnt vielfältig und hintergründig
Seit ein paar Tagen ist die neuste Ausgabe der Bremgarter Neujahrsblätter erhältlich. Das Sammelwerk der Schodoler Gesellschaft präsentiert einen kunterbunten Mix an ...
Bremgarter Neujahrsblätter 2025 gewohnt vielfältig und hintergründig
Seit ein paar Tagen ist die neuste Ausgabe der Bremgarter Neujahrsblätter erhältlich. Das Sammelwerk der Schodoler Gesellschaft präsentiert einen kunterbunten Mix an Bremgarter Geschichten und Themen aus Vergangenheit und Gegenwart.
Marco Huwyler
Visionäre und visionäre Gedanken hatten es immer schwer in Bremgarten. «Wir haben das Talent, uns in die eigene Suppe zu spucken», nennt es Alt-Stadtammann Robert Bamert in seinem Vorwort zur diesjährigen Ausgabe der Neujahrsblätter gar.
Wenngleich es bei einigen Projekten natürlich auch ganz gut ist, dass sie nie verwirklicht wurden. Ob dazu auch die Projekte zählen, welche im Bremgarter Sammelwerk vorgestellt werden, darüber kann man sich bei der Lektüre des wiederum äusserst lesenswerten neuen Bandes selbst ein Bild machen.
Fest steht, dass zu Beginn der 1960er-Jahre eine Südumfahrung um Bremgarten konkret geplant wurde – ein Grossprojekt mit einer vierspurigen Expressstrasse, die unter anderem östlich von Hermetschwil die Reuss auf einer neuen Brücke (ebenfalls vierspurig) überquert hätte.
Dass dagegen die Kerntangente nie realisiert wurde, ist aus heutiger Sicht gewiss ein Segen. Die Strasse quer durch Bremgarten mit einer neuen Strassenbrücke (anstelle der reinen Eisenbahnbrücke) galt jahrelang als vom Kanton und Stadtrat favorisierte Lösung, wurde dann aber zugunsten der heutigen Nordumfahrung verworfen – auch dies Thema der Neujahrsblätter. Auf die Meilensteine und Diskussionen der Bremgarter Strassengeschichte geht Georges Hartmeier im ersten Kapitel des Buches ausführlich ein.
Reusskanal als Utopie
Fast noch abenteuerlicher als die Strassenpläne muten aus heutiger Sicht diejenigen auf dem Fluss an. Hans Peter Flückiger beschreibt in seinem Beitrag den langjährigen Traum, einen grossangelegten, schiffbaren Reusskanal zwischen Bremgarten und Mellingen zu bauen – inklusive Kraftwerken. Die Vision einer von Handelsschiffen befahrbaren Reuss lebte fast ein Jahrhundert lang in den Köpfen von diversen Planern, wurde immer wieder weiterverfolgt und scheiterte erst 1965 an der Aargauischen Gesetzesinitiative «Freie Reuss» definitiv. Wären die Pläne irgendwann umgesetzt worden – die zahlreichen Perlen der Flusslandschaft rund um Bremgarten, die ökologisch wertvollen Gebiete und Naherholungszonen – sie würden heute so nicht existieren.
Schwerpunkt «Einkaufen in Bremgarten»
Ein weiterer Schwerpunkt wird in diesen Neujahrsblättern auf das Thema «Einkaufen» gelegt. So war die Kleinstadt Bremgarten lange Zeit in ihrer Gesamtheit so was wie ein regionales Einkaufszentrum. Jörg Baumann verfolgt in seinem Beitrag die Geschichte des Konsumvereins Bremgarten seit seiner Gründung 1893 bis in die 1970er-Jahre. Heidi Ehrensperger dagegen nimmt uns mit auf einen faszinierenden Spaziergang durch die Ladenlandschaft des Städtli in den 1940er- und 1950er-Jahren. Eine Zeitreise, die hauptsächlich auf den Erinnerungen der heute 92-jährigen Ruth Hirt-Wyler basiert. Eine kurze Einzelgeschichte des Detailhandels thematisiert Patrick Zehnder. Er blickt zurück ins Jahr 1977, als in Bremgarten einer der ersten Alternativläden überhaupt eröffnete. Das Bio-Rüssbrugg-Lädeli Am Bogen 3 war seiner Zeit allerdings voraus – und musste nach 10 Monaten wieder schliessen.
Weitaus länger hat sich der Sunnemärt gehalten. Wobei schon die Entstehungsgeschichte eine lang wierige Angelegenheit war. Georges Hart-meier blickt zurück auf den hoch emotionalen Kampf des Bremgarter Gewerbes gegen jene «moderne Form» des Detailhandels nach der Publikation des Baugesuches 1975. Verhindern konnte man letztlich die Bewilligung des Einkaufszentrums nicht. Es öffnete am 28. August 1980 – wurde danach aber noch jahrelang kritisch betrachtet und angefeindet.
Solche Sorgen kannte Franziska Dosenbach noch nicht, als sie 1865 in Bremgarten den Grundstein fürs spätere Schuhimperium Dosenbach gründete. Das bedeutende Kapitel Bremgarter Wirtschaftsgeschichte und dazugehörige Haus drohte in den letzten Jahrzehnten ein wenig in Vergessenheit zu geraten, bis sich der Altstadtliebhaber Ernst Fischer der Liegenschaft annahm, sie aufwendig und kostspielig renovierte und wieder zu einem wahren Bijou für Bremgartens Altstadt machte. Lis Glavas blickt mit ihm und dem Architekten auf das Projekt zurück – inklusive Vorher/Nacher-Bildstreckenvergleich.
Unternehmerpersönlichkeiten und der Citymanager
Der Ladenmix in der heutigen Altstadt ist bekanntlich eine der Domänen von Ralph Nikolaiski geworden. Der Citymanager ist mittlerweile bald drei Jahre im Amt und gibt im Gespräch mit Alexander Spilmann Einblick in seinen vielfältigen Wirkungs- und Aufgabenbereich.
Zwei Kapitel der Neujahrsblätter sind grossen Bremgarter Unternehmenspersönlichkeiten gewidmet. Anton Waltisbühl war ein Pionier der Schreibmaschine. Von Bremgarten aus zog er nach Zürich und übernahm dort 1890 die Remington-Generalvertretung für unser Land – den unangefochtenen Marktführer von Schreibmaschinen, die damals die Weltwirtschaft und -verwaltungen eroberten. Jörg Baumann ist seiner Geschichte nachgegangen.
Noch heute in aller Munde ist in Bremgarten der begnadete Unternehmer Georg Utz, der im richtigen Moment auf die Verarbeitung von Kunststoff setzte und sich zum grössten Arbeitgeber der Stadt aufschwang. Martin Rutishauser erzählt die eindrückliche Lebensgeschichte eines Mannes, der sich nicht zuletzt auch massgeblich der Bremgarter Politik widmete – als Stadtammann und Stadtrat – und auch sonst vielerorts seine Spuren bis heute hinterliess.
Der Oberchlaus geht seiner Geschichte nach
Schliesslich widmet sich der Oberchlaus persönlich, Franky Weber, der Geschichte seiner Institution, der Chlausaktion Bremgartens. Eine Geschichte, in deren Verlauf sich «wilde Gesellen zum frommen Heiligen Bischof Nikolaus und seinen zivilisierten Schmutzli läuterten», wie es in den Neujahrsblättern heisst.
Die amüsanten Chlaus-Anekdoten und Aufarbeitung einer besonderen Chlaus-Tradition runden das diesjährige Sammelwerk ab, das einmal mehr viel hochkarätigen Lesestoff bietet und einen mehr als ein Stückchen schlauer macht bezüglich Historie und Aktualität eines ganz besonderen Städtchens. Oder um nochmals aus dem Vorwort von Robert Bamert zu zitieren: «Bremgarten ist halt einfach zu schön, um wahr zu sein, und alle, die die Vorzüge aufzählen, laufen Gefahr, als sentimentale Träumer abgestempelt zu werden. Ausser vielleicht vom Ur-Bremgarter selbst.» Dieser wird bestimmt das Haar in der eigenen Suppe finden.
Die Bremgarter Neujahrsblätter von der Schodeler Gesellschaft sind ab sofort für 30 Franken in folgenden Verkaufsstellen erhältlich: Reisebüro AVA, Rolf Meyer Herrenmode, Schuhhaus Borner, Papeterie Heusser, Stadtkanzlei, Stadtbibliothek.