Wahrheit sagen ist nicht strafbar
26.03.2021 Region UnterfreiamtBezirksgericht Bremgarten: Fall in Villmergen – Freispruch vom Vorwurf der falschen Anschuldigung
Macht sich jemand strafbar, der in einer Anzeige den Sachverhalt wahrheitsgetreu schildert, sich in den Ermittlungen aber herausstellt, dass die zur Anzeige gebrachte Person nichts Unrechtes getan hat? Ja, sagte die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten. Nein, befand das Bezirksgericht Bremgarten.
Erika Obrist
«Es geht in diesem Fall nicht um Corona und nicht ums Maskentragen», machte Gerichtspräsident Peter Thurnherr am letzten Dienstag bei der Verhandlung vor dem Bezirksgericht Bremgarten klar. Obwohl alles mit dem Nichttragen einer Atemschutzmaske angefangen hat.
Am 1. Dezember letzten Jahres begab sich der 57-jährige Dario (Name geändert) in ein Geschäft in Villmergen. Ohne eine Maske zu tragen. Ein Mitarbeiter bat ihn, eine Maske anzuziehen. Dario folgte der Bitte nicht, worauf der Mitarbeiter sagte, dass das Geschäft geschlossen würde, sollte eine Kontrolle erfolgen. Dario konnte das nicht glauben und wollte den entsprechenden Verordnungstext sehen. Den konnte der Mitarbeiter nicht vorzeigen und zog den Filialleiter hinzu. Auch dieser forderte Dario auf, eine Maske zu tragen oder er müsse das Geschäft verlassen. Dario fühlte sich durch diese Aussage genötigt; der Filialleiter sei nicht befugt, ihm Weisungen zu erteilen. Der Filialleiter machte nochmals unmissverständlich klar: ohne Maske kein Einkauf. Worauf er Dario aus dem Geschäft wies.
Dario ging in seine Werkstatt, hielt den Vorfall schriftlich fest und erstattete am gleichen Tag bei der Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten Anzeige wegen Nötigung gegen den Filialleiter. Er forderte die Staatsanwaltschaft auf, die Ermittlungen aufzunehmen und den Filialleiter zu bestrafen.
Bei den Ermittlungen zeigte sich rasch, dass der Filialleiter nichts Unrechtes getan hatte, weshalb die Staatsanwaltschaft das Verfahren gar nicht an die Hand nahm. Sie auferlegte Dario die Kosten für das Verfahren, was dieser akzeptiert hatte. Nicht akzeptiert hat Dario hingegen, dass die Staatsanwaltschaft ihn mittels Strafbefehl zu einer bedingten Geldbusse von 9600 Franken und zu einer Busse von 2000 Franken wegen falscher Anschuldigung und Irreführung der Rechtspflege verurteilt hat. Dario legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein, weshalb sein Fall von Einzelrichter Peter Thurnherr beurteilt werden musste.
Dario war ohne Rechtsbeistand zum Verfahren erschienen. Er hatte aber vorgängig die Strafprozessordnung studiert, ebenso Gesetzesartikel zu den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, und sogar ein Bundesgerichtsurteil. Dario wehrte sich gegen den Vorwurf, er habe jemanden zu Unrecht angezeigt. «Der Inhalt meiner Strafanzeige entspricht meinem Erlebten», sagte er. Er forderte einen Freispruch. Das Verfahren der Staatsanwaltschaft gegen ihn sei unnötig gewesen. Auf eine Entschädigung im Falle eines Freispruchs verzichte er, aber die Verfahrenskosten solle der Staat übernehmen.
Gerichtspräsident Peter Thurnherr folgte Darios Anträgen nach kurzer Beratung: Er sprach den 57-Jährigen frei; die Kosten muss die Staatskasse übernehmen. «Eine falsche Anschuldigung setzt voraus, dass ein Vorwurf erhoben wird, der sich so nicht zugetragen hat», begründete er sein Urteil. Dario habe in seiner Anzeige aber geschildert, was tatsächlich passiert ist. «Es ist nicht strafbar, die Wahrheit zu sagen», so Thurnherr. Und man müsse bei einer Anzeige nicht auch noch die Verantwortung übernehmen, dass es letztlich auch zu einer Verurteilung komme.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.