«Wir sind optimistisch»
18.03.2025 BremgartenDie Kuzeb-Betreiber wollen das von ihnen genutzte Haus kaufen – für rund 4 Millionen
Eine gross angelegte Kampagne mit schweizweiten Aktionen soll die nötigen Mittel generieren, um den Betrieb des Kulturzentrums Bremgarten langfristig sicherzustellen. Die ...
Die Kuzeb-Betreiber wollen das von ihnen genutzte Haus kaufen – für rund 4 Millionen
Eine gross angelegte Kampagne mit schweizweiten Aktionen soll die nötigen Mittel generieren, um den Betrieb des Kulturzentrums Bremgarten langfristig sicherzustellen. Die Autonomen sind guten Mutes – auch dank einem anonymen Grossspender.
Marco Huwyler
Über 30 Jahre lang hatte die Besitzerfamilie Meyer die Nutzer der ehemaligen Kleiderfabrik im Bremgarter Zentrum toleriert. Nun möchte sie reinen Tisch machen und die Liegenschaft verkaufen (vgl. Ausgabe dieser Zeitung vom Freitag). «Eine Schocknachricht», sagt Valerie*. «Wir waren alle erst einmal erschlagen, frustriert und ernüchtert.» Es klang wie das schlagartige Ende einer autonomen Erfolgsgeschichte. Eines Freiraums mitten im Zentrum Bremgartens, der für ganz viele so viel mehr ist als einfach nur ein Haus und ein Treffpunkt – nichts weniger als ein alternativer Lebensentwurf zum Kapitalismus nämlich. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Menschen hier einen eigenen funktionierenden Mikrokosmos geschaffen, der ohne Kommerz und Hierarchien auskommt und für ganz viele von ihnen sinnstiftend ist.
Angesichts der Kaufsumme, welche die Meyers für diese Liegenschaft nun aber aus heiterem Himmel ausriefen, wurde ein Weiterbetrieb von alledem auf einen Schlag utopisch. «Wie sollen wir 4 Millionen aufbringen? Ausgerechnet wir, für die Geld bekanntlich mehr Fluch als Segen darstellt?», fragt Valerie rhetorisch.
Widrigkeiten gewohnt
Nun, ein paar Monate später sitzt sie hier, zusammen mit drei anderen jungen Frauen und zwei Männern auf einem provisorisch eingerichteten Podium – dort, wo die Hausnutzer sonst «bouldern», Billard spielen, tanzen oder sich anderweitig körperlich ertüchtigen. Die Kuzeb-Betreiber wollen die Öffentlichkeit informieren darüber, wie es weitergehen soll nach der Schocknachricht. Und die Freigeister strahlen grossen Optimismus aus an diesem Wochenende. Aufbruch ist zu spüren. Kampfeslust. Ja ein bisschen Euphorie gar, angesichts dessen, was man in den nächsten Monaten alles so zu tun gedenkt. «Unsere Geschichte, die Geschichte des Kuzeb, war immer auch eine Geschichte von Steinen, die uns in den Weg gelegt wurden – und trotzdem haben wir all die Jahre überdauert», sagt Fabian lächelnd.
Der unbekannte weisse Ritter
Nun scheint es so, dass die Betreiber auch den aktuellen Widrigkeiten tatsächlich wieder trotzen könnten. Dank vielen Gesprächen im Hintergrund und dem grossen Netzwerk des Kuzeb-Kollektivs konnte offenbar ein Grossinvestor gefunden werden, der bereit ist einen erheblichen Teil des ausgerufenen Kaufbetrags zu stemmen. Um wen es sich handelt und wie gross der gespendete Betrag ist, wollen die Kuzeb-Verantwortlichen noch nicht bekannt geben. «Aber wenn die Lösung definitiv steht, werden wir transparent informieren», verspricht Sabrina.
Konzerte, Touren, T-Shirts
Trotz der finanziellen Zusicherung wird von den Betreibern immer noch ein Kraftakt gefordert sein, um die 4 Millionen zusammenzubringen. Am Samstag wurde deshalb eine grossangelegte Kampagne lanciert. In den nächsten Monaten werden Solidaritätsaktionen in der ganzen Schweiz stattfinden. An Konzerten, Festivals, Partys, Demos und Touren soll Geld für den Verbleib des Kuzeb generiert werden. Ab sofort gibt es Merchandise-Artikel wie Fahnen oder T-Shirts unter dem Motto «Kuzeb bleibt» zu erwerben. Eine Website (kuzeb-bleibt.ch) wurde ins Leben gerufen und Social-Media-Kampagnen unter entsprechenden neuen Accounts gestartet. «Wir zählen darauf, dass ihr alle euch einbringt, die Botschaft verbreitet und weitererzählt. Dann schaffen wir das gemeinsam», sagte Fabian unter grossem Jubel der Gekommenen.
Ein schwieriger Spagat
Zum Zweck des Kuzeb-Erwerbs werden die Betreiber die neue Genossenschaft «Alte Kleiderfabrik» gründen. Sie soll neue Besitzerin der Liegenschaft werden – aber künftig im Tagesbetrieb des Kulturzentrums nichts zu sagen haben. So wollen die Kuzeb-Leute sicherstellen, dass Autonomie und Freiraum auch künftig nicht gefährdet sind. Es ist ein Spagat, in dem man sich nun versuchen muss. Denn im Kuzeb, vertritt man eigentlich die Ansicht, dass Boden kein Eigentum sein darf.
Mit der Absicht, den Boden und die darauf stehende Liegenschaft zu erwerben, unterwirft man sich nun den Spielregeln des Kapitalismus, die man eigentlich zutiefst ablehnt. Es ist aber ein innerer Konflikt, den man auszutragen bereit ist. «Denn die Alternativen sind alle schlechter», sagen die Verantwortlichen, welche intern stundenlang über das Thema debattiert haben. Und doch möchte man das Ganze immer noch auf seine eigene Art und Weise versuchen. Grossspender sollen auch künftig innerhalb des Mikrokosmos nicht mehr zu sagen haben als Mittellose. Und der Kauf soll gänzlich ohne Mithilfe von Banken gelingen. «Wir möchten nicht monatlich Zinsen entrichten müssen und damit gezwungen sein, laufend Geld zu erwirtschaften», sagt Valerie. Unabhängigkeit vom Kapital ist und bleibt den Kuzeb-Leuten ein hohes Gut.
Zusicherung angestrebt
Trotz der hohen Summe für ein altes Fabrikgebäude sind die Kuzeb-Betreiber indes nicht die einzigen Interessenten am Erwerb des zentral gelegenen Gebäudekomplexes. Auch die Stadt Bremgarten hat im Namen der Ortsbürgergemeinde für das Kuzeb geboten (vgl. Ausgabe dieser Zeitung vom Freitag). «Abgesehen davon wissen wir nichts von weiteren Interessenten», sagen die Kuzeb-Verantwortlichen. «Aber es ist möglich, dass noch mehr Bieter vorhanden sind.» Damit nicht die ganze Liebesmüh am Ende vergebens ist und trotz aufgebrachten Mitteln ein anderer den Zuschlag erhält, versuchen die Kuzeb-Betreiber, von den Meyers in den nächsten Tagen eine Absichtserklärung zu erwirken. Für den Fall, dass sie die Summe bis Ende August aufbringen können, soll die Genossenschaft «Alte Kleiderfabrik» den Vorzug vor anderen Bietern erhalten. Dabei setzt man auf das Wohlwollen der Meyers, welche den Hausbesetzern immer aufgeschlossen und positiv gegenübergestanden sind und sie auch aus erster Hand über die Verkaufsabsicht informierten. – Anders als die Stadt Bremgarten.
Wohl ohne die Stadt
Vom Mitbieten der Ortsbürgergemeinde für den von ihnen genutzten Gebäudekomplex haben die Kuzeb-Verantwortlichen über Dritte erfahren. «Es wäre schön gewesen, wenn man uns zumindest informiert hätte, dass man ein Angebot abgibt», sagt Felix. Eine gemeinsame Lösung mit der Stadt Bremgarten wird von den Kuzeb-Leuten deshalb momentan nicht angestrebt. Zumal das Verhältnis auch aus der Vergangenheit belastet ist. Im Kuzeb hat man nicht vergessen, dass die Stadt das Gebäude einst zumauern liess – oder dass die Polizei das Kulturzentrum 2018 einer Razzia unterzog.
Im Fokus steht deshalb eine autonome Lösung für ein Kuzeb – ohne Staat. Und die Zuversicht ist gross – das zeigte bereits der Startschuss der Kampagne. «Ohne uns wäre Bremgarten nicht dasselbe», sagt Felix, der im Städtli und mit dem Kuzeb aufgewachsen ist. «Für mich trägt das Kulturzentrum viel zum entschleunigten, alternativen Vibe bei, der Bremgarten wohltuend von anderen Gemeinden abhebt.» Das scheint im Übrigen auch ein Grossteil der Bevölkerung so zu sehen. An einer am Freitag lancierten Online-Umfrage dieser Zeitung haben sich bis gestern 649 Personen beteiligt. 515 davon sprachen sich dafür aus, dass das Kuzeb so bleibt, wie es ist. Die Chancen stehen gut, dass sie ihren Willen bekommen.
* Auf Wunsch der Kuzeb-Betreiber wurden die Namen dieses Artikels anonymisiert.