Wo die Züge wohnen
17.07.2020 BremgartenSommerserie «Auf den Punkt»: Zug-Depot von «Aargau Verkehr», Bremgarten
Wie viele Züge sind auf der Linie Wohlen – Bremgarten – Dietikon im Einsatz? Wo werden sie gereinigt und repariert? Und wie wird Schnee von den Bahngleisen geräumt? Die Antworten auf diese Fragen und viele weitere Informationen erhält man im Zug-Depot der Aargau Verkehr AG in Bremgarten.
Josip Lasic
Ein regnerischer Tag am Bahnhof Bremgarten. Jeder, der dort schon einmal auf den Zug gewartet hat, hat es gesehen. Das Gebäude nebem dem «Sunnemärt», in dem die Züge der «Bremgarten-Dietikon-Bahn» stehen. Doch wie sieht es im Inneren des Zug-Depots aus, das vis-à-vis vom Bahnhofgebäude steht? Und was wird dort drin genau gearbeitet? Die Sommerserie «Auf den Punkt» gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden. Dabei werfen die Redaktoren dieser Zeitung einen Dartpfeil auf die Karte einer Gemeinde und berichten über den Ort, der getroffen wurde. Und tatsächlich, nach zwei katastrophalen Fehlwürfen, die ausserhalb von Bremgartens Stadtgebiet landen, schlägt der dritte Wurf mitten im Zug-Depot ein.
Zwischen Metall und Maschinen
Die erste Frage vor Ort: «Wie gelange ich in das Depot, wenn ich selbst kein Zug bin?» Eine freundliche Frau am Ticketschalter erklärt den Weg und empfiehlt, nach Adolf Hegglin zu Fragen.
Am Tor des Depots steht ein Warnschild. In Nähe des Krans herrscht Helmpflicht. Beim Betreten der Halle ist das Bedürfnis nach Schutzausrüstung auch ohne Warnungen da. Als kleiner Mensch in einem grossen Gebäude, umgeben von Zügen, abmontierten Achsen und für Laien undefinierbaren Geräten, entsteht der Eindruck, dass man bei einem falschen Schritt von einigen Tonnen Stahl erdrückt werden könnte. Der Duft von Metall und Maschinenöl rundet das Erlebnis ab.
Hegglin nähert sich. Ein sympathischer älterer Mann, mit Brille, Oberlippenbart und freundlichem Lächeln. Fast schon schüchtern verweist er darauf, dass Robert Hauser der Standortleiter der Werkstatt in Bremgarten ist und besser Auskunft geben kann. Kaum ist Hauser vor Ort, ist Hegglin wieder verschwunden.
Robert Hauser sticht unter den Arbeitern im Bremgarter Zug-Depot heraus. Er ist der einzige, der Zivilkleidung trägt. Er erklärt sich schnell für eine Führung durch das Gebäude bereit. Nicht ohne den Hinweis, dass er erst seit zehn Monaten im Unternehmen ist. Anhand seiner Kompetenz und seines enormen Fachwissens ist das kaum zu glauben.
Vier Räume, zwölf Mitarbeiter
Hauser führt durch vier Räume, in die das Zug-Depot eingeteilt ist. Im ersten Raum werden die Züge gewartet, modifiziert und repariert. Im zweiten Raum stehen die Züge, die gerade nicht zwischen Wohlen und Dietikon unterwegs sind. Der dritte Raum ist leer. Ein Duft der Marke «frisch gestrichen» steigt in die Nase. Der Geruch und Robert Hauser verraten, dass es sich bei Raum drei um die Lackiererei handelt. Im letzten Raum ist eine höhere Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit zu spüren. Die Zug-Sauna? Nein, die Waschanlage.
Egal, was die Züge der Linie benötigen, sie erhalten es im Depot in Bremgarten. Eine Reinigung, einen neuen Anstrich oder eine Reparatur. Dafür sorgen die zehn Arbeiter und zwei Lernenden vor Ort. Das Team von Robert Hauser besteht aus Mechanikern, Polymechanikern, Schlossern oder Automatikern. «Gerade die Automatiker werden immer wichtiger», erklärt Hauser. «Denn die Züge sind mittlerweile eine Art fahrende Computer.» Eine Besonderheit gibt es zusätzlich. So gut wie alle Angestellten in der Werkstatt sind in der Lage, die Züge zu fahren. «Bei einem Automechaniker ist es auch von Vorteil, wenn er ein Auto fahren kann», sagt Hauser lachend.
14 «Diamanten»
Die Bremgarten-Dietikon-Bahn besteht seit 1902. 2000 fusionierte die BDB mit der Wohlen-Meisterschwanden-Bahn zur BDWM Transport AG. 2018 folgte eine weitere Fusion. Nach dem Zusammenschluss mit der Wynental- und Suhrentalbahn, die zwischen Schöftland und Menziken verkehrt, heisst das Unternehmen Aargau Verkehr AG. In all den Jahren fuhren diverse Zug-Modelle zwischen Wohlen und Dietikon.
Das aktuelle Modell heisst umgangssprachlich «Diamant». Das steht für «Dynamischer, innovativer, attraktiver, moderner und agiler Nahverkehrstriebzug». 14 der Diamant-Züge verkehren zwischen Wohlen und Dietikon – und werden im Depot in Bremgarten gewartet, gereinigt und bei Bedarf neu lackiert.
Das «Sebni» und das «Mutschälle-Zähni»
Im zweiten Raum stösst Adolf Hegglin wieder zur Führung. In historischen Fragen verlässt sich Hauser auf den Routinier. Es ist auch schwer vorstellbar, dass sich jemand besser für eine Geschichtsstunde zum Thema BDB eignen könnte als Hegglin. Er arbeitet seit 45 Jahren im Depot in Bremgarten und hat die Lehre bei der da ma l igen Bremga r ten-Diet ikon-Bahn abgeschlossen. Der Mechaniker führt durch zwei Züge, die nicht dem Modell «Diamant» entsprechen. Das «Sebni» und das «Mutschälle-Zähni». Sie sind Hegglins ganzer Stolz.
Das «Sebni» hat Baujahr 1969. Von diesem Modell – die Baureihe heisst «BDe 8/8» – fuhren neun Stück auf der Strecke Wohlen–Bremgarten– Dietikon bis sie 2010 ausgemustert wurden. Die Nr. 7 wurde als betriebsfähiges historisches Fahrzeug erhalten. In einem älteren Bericht zur BDWM wird Hegglin mit den Worten zitiert: «Mein eindrücklichstes Erlebnis: Als wir die Zustimmung zum Erhalt der BDe 8/8 und zu ihrem Umbau zum Event-Zug erhalten haben.»
Der zweite ältere Zug ist das «Mutschälle-Zähni» mit Baujahr 1928. Hegglin ist einer der wenigen, die die beiden Züge noch fahren können. Das «Sebni» wird nicht nur für Anlässe, sondern teilweise auch als Ersatzzug bei einem Ausfall von einem der Diamant-Züge eingesetzt. Das «Mutschälle-Zähni» wird wie das «Sebni» für Partys und Events genutzt, aber auch als Schneepflug für die Gleise.
Jeder Unfall ist einer zu viel
Adolf Hegglin war am Umbau des «Sebni» selbst beteiligt. Grossen Aufwand hat die Neulackierung bereitet. «Wir mussten zuerst rund acht Schichten Farbe abschleifen», sagt er lachend. «Offenbar hatte das gute Stück einige Unfälle, weshalb immer wieder nachlackiert wurde.»
Bezüglich der Unfälle versteht Robert Hauser weniger Spass. Er erklärt, dass die Züge Kameras haben. «Gerade in Dietikon, wo der Zug einen Teil der Strecke als Strassenbahn unterwegs ist, kommt es häufig zu Unfällen. Oft übersehen Autofahrer eine Ampel und fahren in einen unserer Züge. Die Kamerabilder dienen dazu, zu belegen, wer den Vortritt missachtet hat.» Auf die Frage, wie häufig solche Unfälle vorkommen, wenn er von «häufig» spricht, entgegnet Hauser: «Zwei bis drei Mal im Jahr. Aber es sind zwei bis drei Mal zu viel.»
Dafür bleiben Unfälle, wenn sie geschehen, umso stärker in Erinnerung. Insbesondere Unfälle mit tödlichem Ausgang.
Führungen sind möglich
Der Rundgang im Zug-Depot endet. «Wir veranstalten auch Führungen auf Anfrage», sagt Robert Hauser. «Beispielsweise für Schulklassen oder Vereine.» Die zahlreichen historischen und technischen Informationen sind für Interessierte also auch ohne Dartpfeil und zwei Fehlschüsse zugänglich.