Marco Huwyler, Redaktor.
Sie prägt unser Leben wie nichts anderes. Taktet den Tag. Plant Zukunft. Strukturiert Vergangenheit. Stresst. Zwingt zu handeln. Sie mal nicht zu beachten, nicht ständig im Auge zu behalten – das kann ...
Marco Huwyler, Redaktor.
Sie prägt unser Leben wie nichts anderes. Taktet den Tag. Plant Zukunft. Strukturiert Vergangenheit. Stresst. Zwingt zu handeln. Sie mal nicht zu beachten, nicht ständig im Auge zu behalten – das kann wahre Wohltat sein. Und doch brauchen wir sie unbedingt. Sonst wäre alles ein Chaos. Die Zeit – beziehungsweise die Einteilung der Zeit in Einheiten.
Diese Einteilung ist willkürlich, künstlich, menschgemacht. Die Unendlichkeit des Seins schert sich nicht um Stunden und Minuten. Und eigentlich ist Zeit ja ohnehin relativ, wie man seit Einstein weiss (wobei die wenigsten wissen, was das heisst). Genauso, wie die wenigsten wissen, weshalb wir eigentlich unsere Zeitunterteilung haben (60, 60, 24). Das fragte ich mich kürzlich in einem nachdenklichen Moment. Und machte mich prompt im Internet schlauer.
Unser Zeitsystem verdanken wir offenbar den Babyloniern, die vor rund 5000 Jahren lebten. Deren Zahlensystem beruhte auf der 12. Man sagt, die Babylonier hätten nicht wie die Begründer des Dezimalsystems (und wir heute) ihre einzelnen Finger gezählt und deshalb die 10 als Grundlage genommen. Vielmehr zählten sie mit dem Daumen die Glieder der übrigen Finger. Den Tag unterteilten die Babylonier folgerichtig in 12 helle und 12 dunkle Stunden. Minuten und Sekunden erlangten erst viel später Bedeutung – als die ersten Uhren entworfen wurden. Mit einem kreisrunden Ziffernblatt. 360 Grad – perfekt für 12er- und 60er-Schritte. Die Zeiteinheiten für die Ewigkeit.
Vermeintlich zumindest. Denn in der französischen Revolution wurde alles hinterfragt. Tatsächlich stand damals auch unser Zeitsystem auf der Kippe. Die Revoluzzer führten die 100-Minuten-Stunde und die 10-Tage-Woche ein. Wirtschaftlich brachte der neue Kalender aber eine erhebliche Erhöhung der Arbeitstage mit sich, da es nur noch alle zehn statt alle sieben Tage einen Ruhetag gab. Der Revolutionskalender war deshalb nicht sonderlich beliebt – weshalb ihn Napoleon wieder abschaffte.
Ich frage mich, wie es wohl wäre, wenn er sich durchgesetzt hätte (vielleicht dank grosszügigerer Freizeitgewährung). Was würden längere Stunden ändern? Und längere Wochen? Ob wir heute weniger Stress hätten? Oder noch mehr? Und gibt es wohl dereinst erneut eine revolutionäre Bewegung, die an der 12 rüttelt? Oder bleibt es bis in alle Ewigkeit bei den babylonischen Fingergliedern, die unser Leben einteilen?