Für Ferien bleibt kaum Zeit
22.08.2025 Region Unterfreiamt, Gewerbe, ArbeitSommerserie «Meine eigene Chefin»: Anita Vock, Tierärztin mit eigener Praxis in Nesselnbach
Anita Vock wollte schon immer Tierärztin werden. Und sie hat über Umwege ihr Ziel erreicht. Nach mehreren Jahren als Angestellte in einer grösseren ...
Sommerserie «Meine eigene Chefin»: Anita Vock, Tierärztin mit eigener Praxis in Nesselnbach
Anita Vock wollte schon immer Tierärztin werden. Und sie hat über Umwege ihr Ziel erreicht. Nach mehreren Jahren als Angestellte in einer grösseren Praxis hat sie ihre eigene eröffnet. «Es war eine sehr spontane Übung», sagt sie heute. Bereut hat sie den Schritt in die Selbstständigkeit aber nie.
Chregi Hansen
Die Kleintierpraxis im Fendler wurde im Januar 2023 eröffnet. «Wenn ich ehrlich bin, war ich am Anfang ganz schön überfordert mit all dem Neuen», sagt Inhaberin Anita Vock zweieinhalb Jahre später. Der Umbau, die Einrichtung, der ganze administrative Aufwand, die Finanzierung, die Werbung, die Versicherungen und noch so vieles mehr hat die Niederwilerin auf Trab gehalten. All das war neu für sie. «Da wurde mir erst bewusst, wie viel einem als Arbeitnehmer erspart bleibt, wie viel einem abgenommen wird.»
Und trotzdem – die Tierärztin ist froh, dass sie den Schritt gewagt hat. Gross nachgedacht darüber hat sie im Vorfeld nicht. «Ich hatte immer den Wunsch, später mal eine eigene Praxis zu betreiben. Aber dass es so schnell gehen würde, war nicht geplant.» Aber da war diese Liegenschaft in Nesselnbach, welche ihr Mann und sie entdeckt und gekauft haben. Damit verbunden war die Auflage, innerhalb eines Jahres einen Gewerbebetrieb einzurichten. Das hat den Entscheid natürlich beeinflusst. Im Vorfeld hat sie viel Hilfe erhalten. Etwa von ihrem Vater, der die Bauleitung übernahm. Oder durch den Berufsverband, der sie mit Rat und Tat unterstützt hat. Zudem fand sie eine externe Lösung für die Buchhaltung. «So kann ich mich besser auf meine Arbeit und die Tiere konzentrieren», sagt Anita Vock.
Schon viele treue Kunden
Nicht verschont bleibt sie hingegen vom administrativen Aufwand, der viel Zeit in Anspruch nimmt – einen Teil davon erledigt sie deshalb jeweils am Wochenende. Die erforderlichen Weiterbildungen absolviert sie oft in den Ferien oder am Abend. Viel Freizeit bleibt derzeit nicht. Auch nachts oder am Wochenende kann das Handy mal klingeln. Und trotzdem wirkt die Tierärztin sehr zufrieden. «Das Ganze ist gut angelaufen. Mittlerweile habe ich viele treue Kunden. Natürlich braucht der Aufbau eines Geschäfts immer eine gewisse Zeit», erklärt sie. Doch die Zahl der Kunden zeigt nach oben. Und sie hat schon viele Tierhalter, die regelmässig vorbeikommen. Wie als Beweis klingelt während des Gesprächs das Telefon, bittet ein Hundehalter noch um einen Termin, bevor sich Anita Vock vier Tage Ferien gönnt. «Meist, wenn ich mal ein paar Tage zumache, ‹räbelt› es vorher so richtig», schmunzelt sie.
Aktuell arbeitet die 45-Jährige mehrheitlich allein. An zwei halben Tagen kommt ihr eine Praxisassistentin zu Hilfe. Diese springt auch ein, wenn eine grössere Behandlung angesetzt ist. Ansonsten muss Vock alles selbst erledigen. Das bringt mit sich, dass die Tierhalter bei der Untersuchung oder Behandlung ihr Tier selbst halten müssen. «Das klappt gut. Und gibt dem Tier meist auch Sicherheit», weiss sie aus Erfahrung. Wobei: Manchmal seien die Menschen fast noch nervöser als ihre Tiere.
Vor allem Hunde und Katzen als Patienten
Grundsätzlich macht sie aber sehr gute Erfahrungen. Die lokale Bevölkerung sei froh, nun eine Praxis in unmittelbarer Nähe zu haben. «Dass ich von hier bin und viele meine Familie kennen, machte es natürlich einfacher», gibt sie zu. Den Grossteil der tierischen Patienten machen Hunde und Katzen aus. Ab und zu auch mal ein Kaninchen, ein Meerschweinchen oder ein anderes Nagetier. «Exotischere Tiere wie Reptilien und Vögel muss ich weiterverweisen, dafür bin ich nicht genügend ausgebildet», sagt sie.
Der Vorteil der eigenen Praxis ist der direkte Kontakt und Austausch mit dem Besitzer, der immer dieselbe Ansprechperson hat, welche die Krankengeschichte und das Umfeld des Tieres gut kennt. «Auch in meiner früheren Tätigkeit in der Pflege war mir die Bezugspflege immer wichtig. Diese hat eine kontinuierliche und ganzheitliche Versorgung zum Ziel, die auf die spezifischen Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten ist. Das ist in einer grösseren Praxis weniger möglich», sagt sie. Anita Vock bietet Beratung und Betreuung aus einer Hand. Zudem ist die integrative Medizin ein wichtiger Bestandteil der Kleintierpraxis im Fendler. Darunter versteht die Niederwilerin eine Gesundheitsversorgung, die auch alternative therapeutische Ansätze berücksichtigt. «Die Gesundheit und das Tier als Ganzes stehen dabei im Vordergrund», sagt sie. Auch dies lässt sich in einer grösseren Praxis weniger umsetzen. Genau darum war die eigene Praxis schon immer ein Wunsch. Einer, den sie sich nun erfüllt hat.
Den Schritt nicht bereut
Dass sie in der gleichen Liegenschaft wohnt und arbeitet, das hat Vor- und Nachteile. «Ich bin etwas flexibler. Jedoch fehlt manchmal der Arbeitsweg, um Distanz zu gewinnen und abzuschalten.» Gerade nach schwierigen Fällen und belastenden Situationen, zum Beispiel wenn ein Tier erlöst werden musste, ist es für sie immer auch sehr emotional. «Manchmal muss ich dann nach der Arbeit einfach mal raus, gehe ich spazieren», erzählt sie. Weil sie meist allein arbeitet, fehlt ihr auch der Austausch. Und trotzdem – alles in allem zählen für Anita Vock vor allem die positiven Effekte, welche der Schritt in die Selbstständigkeit mit sich brachten. «Ich habe derzeit wenig Freizeit. Aber das ist normal, wenn man etwas Neues aufbaut. Aber die Zusammenarbeit mit meinen Kunden, die Betreuung ihrer Tiere in medizinischen Fragen und das entgegengebrachte Vertrauen, das motiviert mich immer wieder aufs Neue. Ich bereue jedenfalls nichts», sagt sie zum Schluss.
Die Serie
In der Sommerserie «Mein eigener Chef» oder «Meine eigene Chefin» porträtiert die Redaktion Menschen aus dem Freiamt, die sich selbstständig gemacht haben, ohne die Einmischung eines Vorgesetzten ihr eigenes Unternehmen führen. --red