Von Schuldgefühlen geplagt
27.01.2023 Niederwil, Region Wohlen, Region Bremgarten, Region Unterfreiamt, Region OberfreiamtSich rechtzeitig Hilfe holen – beim Reusspark in Niederwil
Sie werden meist vergessen. Dabei arbeiten sie oftmals bis an den Rand der Erschöpfung. Die pflegenden Angehörigen, die ihren Partner, Vater oder Mutter pflegen und betreuen und dabei oftmals selbst über ...
Sich rechtzeitig Hilfe holen – beim Reusspark in Niederwil
Sie werden meist vergessen. Dabei arbeiten sie oftmals bis an den Rand der Erschöpfung. Die pflegenden Angehörigen, die ihren Partner, Vater oder Mutter pflegen und betreuen und dabei oftmals selbst über ihre Grenzen gehen.
Die ersten Anzeichen liessen ihn stutzig werden. «Auf einmal verlor sie die Freude am Kochen. Dann wechselte sie die Bettwäsche nicht mehr, obwohl sie immer viel Wert auf einen gut geführten Haushalt legte. Sie vergass Termine, erschien nicht an Treffen. «Bei mir klingelten die Alarmglocken», sagt Erhard Grosser (67). Seit zwei Jahren pflegt und betreut er seine an Demenz erkrankte Frau. Schon seine Mutter litt an Demenz. Sein Vater sei daran kaputtgegangen.
Wenn ein Burn-out droht
Die Spannungen zwischen dem Ehepaar schaukelten sich hoch. «Wir gerieten immer öfter aneinander. Manchmal knallte ich einfach die Tür zu. Abends sass ich völlig erschöpft am Küchentisch und trank einen Whiskey. Oder zwei», erzählt Grosser. Er war auf Schleuderkurs und rang mit sich selbst. Bis er sich eingestehen musste, dass er Unterstützung brauchte. «Die Alzheimer-Vereinigung hat mich gut beraten. Und von der Pro Senectute nahm ich eine Dienstleistung zu meiner Entlastung in Anspruch. «Sonst wäre ich wahrscheinlich in einem Burn-out gelandet. Die Alzheimer-Vereinigung hat mich auf das Tages- und Nachtzentrum im Reusspark aufmerksam gemacht.» Hier bringt er seine Frau zwei Tage die Woche hin. «Nun habe ich zwei freie Tage für mich selbst.» Das habe ihm Luft verschafft. Er ist überzeugt, dass es für pflegende Angehörige notwendig ist, falsche Schamgefühle abzulegen.
Die eigenen Grenzen respektieren
Was es heisst, bis an oder über die Grenze zu gehen, zeigt die Geschichte der Familie Mettler (Name geändert). Vater Mettler litt an einem Hirntumor. «Danach wurde er immer stiller, war schnell überfordert und schlief viel», erzählt Tochter Anne Mettler. Sie ist eines von sieben Kindern der ehemaligen Bauernfamilie.
«Hektik und Lärm vertrug er nicht mehr und er zog sich immer mehr zurück. Vati verlor die Fähigkeit, zu schreiben und zu lesen. Die Gespräche wurden immer einseitiger. Er verlor auch das Interesse an Tätigkeiten. Einzig Nüsse aufzuknacken, machte im Spass. Später brauchte er Hilfe bei der Körperpflege. Er war oft unruhig oder er lief einfach davon. Wir konnten ihn nicht mehr unbeaufsichtigt lassen», erzählt Anne Mettler. Die Betreuung des schwerkranken Vaters wurde immer anspruchsvoller und zeitintensiver. Überforderung, schlechtes Gewissen, auch Unstimmigkeiten unter Familienangehörigen häuften sich. Jedes der Geschwister hatte seine Rolle und Aufgabe. «Wir mussten unser Muetti entlasten, die unseren Vater schon seit sechs Jahren pflegte und betreute. Ihre und unsere Kräfte schwanden zusehends», erzählt Anne Mettler. Die Familie suchte nach einer regelmässigen externen Entlastung.
Unkomplizierte, schnelle Hilfe
Es war eine schwierige Entscheidung, den Vater in Betreuung zu geben. «Im Internet fanden wir das Tages- und Nachtzentrum im Reusspark. Damit meine Mutter einmal in die Ferien gehen konnte, brachten wir meinen Vater für vierzehn Tage dorthin.» Ein paar Monate später erkrankte die Mutter und eine Notfalllösung musste her. «Die Pflegenden vom Tages- und Nachtzentrum boten unkomplizierte, schnelle Hilfe. Ich rief am Nachmittag an, am Abend konnte ich Vati bringen», sagt Anne Mettler. Inzwischen wird Vater Mettler stationär betreut, da seine Frau selbst Betreuung benötigt.
«Wir Kinder und unsere Eltern sind alle leistungsorientiert erzogen worden. Das Motto lautete: Beiss durch. So schnell darfst du nicht aufgeben. Tröstlich für sie sei, dass ihr Vater im Reusspark gut aufgehoben ist. Als ehemaliger Landwirt besuche er täglich die Tiere im Kleintierpark. Anne Mettler hat gelernt: «Durchbeissen um jeden Preis macht keinen Sinn. Wichtig ist, seine eigenen Grenzen zu respektieren. Erst wenn man auch für sich selbst gut sorgt, kann man für andere da sein.» – Beratungsstelle: Reusspark, Sozialdienst, 5524 Niederwil, Tel. 056 619 60 54, www.reusspark.ch. Alzheimer Aargau, info.ag@alz.ch, www.alzheimer-schweiz.ch; Pro Senectute Aargau, info@ag.prosenectute.ch, www.ag.prosenectute.ch.