Zum antisemitistischen Anschlag in Zürich
15.03.2024 Muri, LeserbriefeDer Schock und das Entsetzen über das grässliche Massaker an israelischen Staatsbürgern am 7. Oktober steckt uns immer noch in den Knochen, da wird am 2. März in Zürich ein Mensch jüdischen Glaubens durch einen 15-jährigen Schweizer mit tunesischen Wurzeln ...
Der Schock und das Entsetzen über das grässliche Massaker an israelischen Staatsbürgern am 7. Oktober steckt uns immer noch in den Knochen, da wird am 2. März in Zürich ein Mensch jüdischen Glaubens durch einen 15-jährigen Schweizer mit tunesischen Wurzeln auf brutalste Weise attackiert und lebensgefährlich verletzt. Der Täter, der die Tat im Voraus angekündigt und seine Gesinnung und Hingabe zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) offenbarte, hat das Opfer nicht zufällig, sondern aufgrund dessen jüdischen Glaubens gezielt ausgesucht.
Eine Tat solcher Dimension ist ein perfider Terrorakt und stellt eine Zäsur für unser Land dar. Wie üblich stellen sich dabei folgende Fragen: Wie konnte es so weit kommen? Wo und wie beziehungsweise auch durch wen hat sich der Täter so radikalisieren lassen? Als Reaktion darauf werden die Sicherheitsmassnahmen verstärkt, der Aktionismus bei den pädagogischen Lehrstätten heraufgeschraubt, die Frage des Entzugs der Schweizer Staatsangehörigkeit des Täters geprüft und das Thema via Medien in der Gesellschaft breit diskutiert. Wie immer wird dabei die Schlüsselfrage des eigentlichen Problems jedoch nie wirklich gestellt: Was tun eigentlich die Verantwortlichen und Träger der islamischen Glaubensgemeinschaft, um der Radikalisierung von Jugendlichen zu begegnen?
Obwohl weltweit die grosse Mehrheit der islamischen Glaubensgemeinschaft eine friedliche Gesinnung hat und ihren Glauben danach ausrichtet, und auch wenn die Träger der islamischen Glaubensgemeinschaft bei jedem Terrorakt, der auf eine radikal-islamisierte Gesinnung zurückzuführen ist, sich jeweils davon distanzieren, bleibt am Schluss die nüchterne Erkenntnis: Eine Religion, in deren Namen Personen terroristische Attentate verüben, selbst wenn diese sich in keinster Weise durch deren Schriften rechtfertigen lassen, hat ein grosses Problem.
Der Staat kann seine Bürger gegen rechts- oder linksextreme politische Ideen, ideologisch verirrte Terrorgruppen und sonstige Gefährder weltlicher Anschauung mit entsprechenden Massnahmen weitestmöglich schützen (sofern der politische Wille der Bürger und derjenige des Staatsapparates für deren Umsetzung vorhanden ist). Aber gegen radikale Auswüchse einer fehlinterpretierten Religion kommen sie auf die Dauer nicht an.
Um dieses Problem zu lösen, müssen die Verantwortlichen der islamischen Religionsgemeinschaft die Initiative ergreifen und dem Staat sowie der Gesellschaft aktiv und öffentlich, heisst, auch in medienwirksamer Weise, die Hand zur Kooperation reichen. Dazu gehört insbesondere, dass die Verantwortlichen der islamischen Religionsgemeinschaft sich über die sozialen Netzwerke, in denen die religiöse Radikalisierung hauptsächlich vorangetrieben wird, in gezielter Weise dagegen engagieren. Dies mag bislang in einzelnen Fällen und in kleinem Masse geschehen sein. Aber die grosse Arbeit sowie der Tatbeweis stehen hier erst noch bevor. Ansonsten verbleiben dem Staat als Massnahmen die Ausgrenzung und Abschiebung der radikalisierten Personen sowie im extremsten Fall das Verbot einzelner islamischer Organisationen.
Peter Nietlispach, Muri